Düsseldorf Lieferte Heinrich Heine die Vorlage für Oskar Matzerath?

Düsseldorf · Er war eine "kleine, bewegliche Figur mit einem fürchterlichen, schwarzen Schnurrbarte, worunter sich die roten Lippen trotzig hervorbäumten, während die feurigen Augen hin und her schossen". So beschreibt Heinrich Heine den französischen Tambour, der mit Napoleons Truppen 1811 in Düsseldorf einmarschierte und im Hause seiner Eltern Quartier fand. In seinen "Ideen. Das Buch Le Grand" erzählt Heine, wie dieser kleine, aber stolze Soldat alle Sprachbarrieren überwand - durch Trommeln. "Monsieur Le Grand wußte nur wenig gebrochenes Deutsch, nur die Hauptausdrücke - Brot, Kuß, Ehre - doch konnte er sich auf der Trommel sehr gut verständlich machen, z. B. wenn ich nicht wußte, was das Wort ,liberté' bedeute, so trommelte er den Marseiller Marsch - und ich verstand ihn."

Günter Grass hat diesen Text Heinrich Heines geschätzt - und daraus vorgelesen an der Düsseldorfer Kunstakademie. Dort hatte er 1948 sein Studium begonnen und versammelte seine Kommilitonen gelegentlich zu Lesungen in einem der Ateliers. "Da stand ein geflochtenes Sofa, da saß Grass dann, trug eigene Texte vor - und Heines ,Buch Le Grand'", sagt die Düsseldorfer Künstlerin Hannelore Köhler (85), die damals mit Grass in der Klasse von Otto Pankok Malerei studierte. "Vor allem die Passagen über den französischen Trommler hat er mit großer Leidenschaft gelesen."

Zehn Jahre später sollte Grass mit der "Blechtrommel" Weltruhm erlangen. Auch die Hauptfigur Oskar Matzerath macht darin die Trommel zu ihrem Begleiter und drückt sich durch Hiebe auf das Trommelfell aus. Grass hat später abgestritten, dass Heines Tambour ein Vorbild für sein Oskarchen war. Doch sah er Heines "Buch Le Grand" wie seine "Blechtrommel" in der Tradition des Schelmenromans. Vorbild oder nicht - die Figur des Narren hat Grass im Rheinland entdeckt.

(RP)
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