Luther und der Alltag (9) Wo Ökumene klappt und wo sie klemmt

Zwischen evangelischen und katholischen Christen gibt es viele Kontakte. Doch 500 Jahre nach der Reformation bestehen nach wie vor unüberwindliche Hindernisse für die völlige Einheit. Ein Lagebericht vom Niederrhein.

Die Veranstaltungs-Highlights im Lutherjahr
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Foto: dpa

Das Reformationsjubiläum 2017 hat Christian Werner zu einer neuen ökumenischen Erkenntnis gebracht: "Martin Luther führt uns zusammen", bemerkt der evangelische Pfarrer im niederrheinischen Straelen. Seit fünfeinhalb Jahren wirkt er in der Blumen- und Gemüsestadt und erlebt seitdem ein liebevolles Aufeinanderzugehen. "Bei jeder katholischen Osternachtfeier bin ich im Talar dabei, übernehme eine Lesung und sage ein Grußwort." Er singt im Chor der etwas anderen Messe der katholischen Gemeinde mit, dieser Chor singt seinerseits zweimal im Jahr bei den Evangelischen im Gottesdienst "anders". Zu diesem Gottesdienst "anders" kommen nach Werners Beobachtung viele Katholiken, weil sie diese (musikreiche) Art des Gottesdienstes und seine Predigt schätzen. "Sie wollen angesprochen werden."

Ein brüderliches und schwesterliches Miteinander gilt auch in der Nachbarstadt Geldern. Wenn Arndt Thielen an das Verhältnis zwischen den Konfessionen denkt, fallen ihm nur positive Adjektive ein. "Unkompliziert und stressfrei", sagt der Mann, der seit drei Jahren katholischer Pfarrer in der Kleinstadt im Kreis Kleve ist. Mannigfaltig seien die Kontakte zwischen den 5800 Evangelischen und den 20.000 Katholischen dort. Das gilt nicht nur für die ökumenischen Gottesdienste, die einmal jährlich in jeder Ortschaft gefeiert werden - am Pfingstmontag beispielsweise, an Allerheiligen und am Buß- und Bettag. Viele Berührungspunkte gibt es auch im Schulsektor. "Das kriegen viele gar nicht mit", meint Thielen.

Der Eine-Welt-Laden wird von beiden Kirchengemeinden unterstützt. Im Frühjahr und Herbst kommt es zu einem ökumenischen Konveniat. Laut Ralf Streppel, seit 16 Jahren evangelischer Pfarrer in Geldern, geht es den Konfessionen um allgemeinen Austausch. Der Respekt vor der Tradition des jeweils anderen bestimmt den Umgang. Man hilft einander, begegnet sich auf Augenhöhe. Immer wieder bekommen die Seelsorger Signale von der Basis: "Es gibt doch kaum noch Unterschiede. Was soll das?"

"Das" meint die Tatsache, dass auch 2017 noch das Abendmahl getrennt gefeiert wird. Auf dem Gelderner Marktplatz ein ökumenischer Gottesdienst mit gemeinsamem Abendmahl - daran sei noch nicht zu denken. Da sind sich Thielen und Streppel einig. Der Schritt dahin scheint von evangelischer Seite einfacher. Streppel: "Wir propagieren Einheit in Vielfalt, Christus ist der Einladende. Wir müssen nicht erst die Einheit der Kirche haben, um gemeinsam Abendmahl zu feiern." Christus ist der Einladende, da stimmt Thielen zu. "Doch wir müssen erst die Einheit haben", weist er auf das Hindernis hin, Brot und Wein zu teilen.

Niemand hat ein Schild auf der Stirn, das ihn als evangelischer oder katholischer Christ ausweist. Regelmäßig kommt es vor, dass Gemeindemitglieder die Gottesdienste der jeweils anderen Konfession mitfeiern, inklusive Besuch des Abendmahls. "Wir glauben alle an den dreifaltigen Gott", erklärt Thielen. Es gebe aber eben Punkte, "die uns nicht vereinen", die Kirchenstruktur und die Marienverehrung etwa. Doch: "Wenn jemand die Gemeinschaft mit Jesus haben möchte, wer bin ich, ihn abzuweisen?"

Das gilt auch für den Umgang mit Geschiedenen und Wiederverheirateten. Als "kleine Revolution" wurde die im Februar 2017 veröffentlichte Entscheidung der Deutschen Bischofskonferenz gewertet, wonach Katholiken in Deutschland nach einer Scheidung und erneuten Heirat nicht mehr grundsätzlich von der Kommunion ausgeschlossen sind. Seitdem hat der Seelsorger der Gelderner Katholiken Paare bei sich gehabt, die sich geöffnet und ihre Not geschildert haben. "Und ich habe sie eingeladen zur Messe und zur Kommunion." Bei den Evangelischen seien alle Christen eingeladen, Abendmahl zu feiern, so Streppel. Aus Straelen berichtet Pfarrer Werner von einer älteren Katholikin, die ihm bei der Beerdigung ihres evangelischen Mannes erzählte, dass sie seit Jahrzehnten an keiner Eucharistiefeier mehr habe teilnehmen dürfen. Sie war früher katholisch verheiratet gewesen und dann geschieden worden. Der evangelische Geistliche legte bei seinem katholischen Amtsbruder ein Wort für sie ein - mit Erfolg.

Schwierig ist es beim Thema gleichgeschlechtliche Paare. "In der katholischen Kirche wird nicht homosexuell geheiratet", sagt Thielen kurz und bündig. Doch was den allgemeinen Umgang in der Gemeinde angeht, hält er es mit dem niederrheinischen Credo "leben und leben lassen". Und auch nach dem "Jahr der Barmherzigkeit" sei geboten, jedem mit Achtung zu begegnen.

Das mit dem "leben und leben lassen" nimmt Streppel auch für die Mehrheit der evangelischen Gemeindemitglieder in Anspruch. Nach evangelischem Verständnis ist die Ehe ein "weltlich Stand", so Martin Luther. Sie wird vor dem Standesamt geschlossen, nicht vor dem Altar. Die evangelische Trauung ist "ein Gottesdienst anlässlich einer Eheschließung. Dabei bekennen die Eheleute, dass sie einander aus Gottes Hand annehmen, und versprechen, ihr Leben lang in Treue beieinander zu bleiben und sich gegenseitig immer wieder zu vergeben". So sagt es die Kirchenordnung. Das evangelische Eheverständnis unterscheidet sich damit von der Auffassung der katholischen Kirche. Diese sieht in der kirchlichen Trauung ein Sakrament, welches erst die Verbindung zweier Menschen in der Ehe beschließt.

Die evangelische Trauung ist seit 2016 in der rheinischen Kirche auch für gleichgeschlechtliche Paare in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft möglich. Sie ist nach dem Beschluss der rheinischen Landessynode vom Januar 2017 eine Amtshandlung und wird deshalb ins Kirchenbuch eingetragen. Die Landessynode reagierte damit auf Veränderungen im Zivilrecht. Der Gesetzgeber hatte 2001 mit der eingetragenen Lebenspartnerschaft eine Regelung für gleichgeschlechtliche Paare geschaffen, die gleiche Rechtsfolgen wie eine Ehe mit sich bringt, ausgenommen das Adoptionsrecht. Bis Anfang 2016 gab es für gleichgeschlechtliche Paare statt einer Trauung nur eine gottesdienstliche Begleitung, die die rheinische Kirche 2000 eingeführt hatte.

Streppel: "Liebe ist das Hauptargument, der tragende Grund. Von daher ist eben auch die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare möglich." Doch weder in der katholischen noch evangelischen Kirchengemeinde Gelderns ist diese Frage bisher offensiv behandelt worden.

Am 24. September werden in Geldern 500 Jahre Reformation mit einem gemeinsamen Gottesdienst gefeiert - in der evangelischen Kirche mit anschließendem Zusammensein im katholischen Pfarrheim. Beide Seelsorger stellen fest: Bei der Reformation gehe es nicht um Luther, denn es habe auch andere Reformatoren gegeben. "Reformation wird als Christusfest gefeiert. Reformation ist die Rückbesinnung auf das Evangelium."

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