Serie Luther und die Juden (4) Luthers dunkle Seite

Martin Luther war nicht nur Reformator der Kirche, sondern auch glühender Antisemit. Vor allem eine seiner späten Schriften zeugt von seiner Judenfeindschaft. Die Evangelische Kirche sucht nun nach dem richtigen Umgang damit.

 Der Reformationsaltar der Pfarrkirche St. Marien in Wittenberg,wurde von Cranach d. Ä. begonnen, von seinem Sohnfertiggestellt und vermutlich 1547 errichtet, ein Jahr nachLuthers Tod. Die Mitteltafel zeigt das letzte Abendmahl. Lutherspeist mit, ihm wird von Cranach d. J. der Kelch desHeils gereicht. Besonders interessant ist die Darstellung des Judas vorn links: Halb hinter seinem Rücken hält er den Beutel mit 30 Silberlingen, während er sich von Jesus mit Brot füttern und als Verräter abstempeln lässt. „Der ist’s,dem ich den Bissen eintauche und gebe.“ (Joh. 13,26). DieCranachs lassen Judas’ Züge unsympathisch wirken, und sie verpassen ihm ein gelbes Gewand — seit dem 4. Laterankonzil 1215 die Farbe des Ringes, den Juden öffentlich tragen mussten. Durch Farbwahl und Komposition male Cranach den Judas als Verworfenen, Verräter und Christusfeind,schreibt die Kunsthistorikerin Monika Lengelsen.

Der Reformationsaltar der Pfarrkirche St. Marien in Wittenberg,wurde von Cranach d. Ä. begonnen, von seinem Sohnfertiggestellt und vermutlich 1547 errichtet, ein Jahr nachLuthers Tod. Die Mitteltafel zeigt das letzte Abendmahl. Lutherspeist mit, ihm wird von Cranach d. J. der Kelch desHeils gereicht. Besonders interessant ist die Darstellung des Judas vorn links: Halb hinter seinem Rücken hält er den Beutel mit 30 Silberlingen, während er sich von Jesus mit Brot füttern und als Verräter abstempeln lässt. „Der ist’s,dem ich den Bissen eintauche und gebe.“ (Joh. 13,26). DieCranachs lassen Judas’ Züge unsympathisch wirken, und sie verpassen ihm ein gelbes Gewand — seit dem 4. Laterankonzil 1215 die Farbe des Ringes, den Juden öffentlich tragen mussten. Durch Farbwahl und Komposition male Cranach den Judas als Verworfenen, Verräter und Christusfeind,schreibt die Kunsthistorikerin Monika Lengelsen.

Foto: akg-images

Sie mögen hinziehen in ihr Land, daselbst unwissend sein und lästern, so lange sie können, und uns mit ihren gräulichen Sünden unbeschweret lassen." Und: "Sollen wir der Juden Lästerung rein bleiben, und nicht teilhaftig werden, so müssen wir Gescheid sein, und sie aus unserem Land vertrieben werden." Was für heutige Ohren wie ein Pamphlet der rechten Szene klingt, ist in Wirklichkeit von Martin Luther. So nämlich schreibt es der Reformator im Jahr 1543 in seiner Spätschrift "Von den Juden und ihren Lügen".

Ein Text, der den Protestanten heute, zum 500. Jahrestag der Reformation, im höchsten Maße peinlich ist: Denn er zeigt den alten, den jähzornigen, den judenfeindlichen Martin Luther. Den Reformator, dessen man sich 2017 eher schämt. Den Reformator, über den Kirchentagspräsidentin Christina aus der Au kürzlich sagte, dass er wohl kaum zu einem Evangelischen Kirchentag eingeladen werden würde. Den Reformator, dem der Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann in seinem Buch "Luthers Juden" einen "spezifisch vormodernen Antisemitismus" attestierte. Den Reformator, dessen finstere Gedanken nicht einmal vor Mordaufrufen zurückschreckten: "Wenn ich einen Juden taufe, will ich ihn an die Elbbrücke führen, einen Stein an den Hals hängen und ihn hinab stoßen und sagen: Ich taufe dich im Namen Abrahams."

Und auch wenn es "evangelisch ist, unterschiedlicher Meinung zu sein", wie es der frühere EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber einstmals formulierte: In der Bewertung der antijüdischen Äußerungen Luthers herrscht im deutschen Protestantismus große Einigkeit. Luther sei ein "furchtbarer Zeuge" für die christliche Judenfeindschaft gewesen, sagte etwa die Lutherbotschafterin des Rates der EKD, Margot Käßmann, bei der Eröffnung der "School of Jewish Theology" an der Universität Potsdam. Seine Äußerungen würden auf den Reformator selbst und die Reformation insgesamt einen Schatten werfen und hätten die Kirche, die sich "nach ihm benannte, auf einen entsetzlichen Irrweg" geführt. Das Pamphlet von 1543 habe oft als Rechtfertigung für Diskriminierung, Ausgrenzung und Mord gedient und sei in der NS-Zeit häufig nachgedruckt worden.

Zusätzliche Akzente setzt der Berliner Theologe Christoph Markschies. Der Kirchenhistoriker, der das "Institut Kirche und Judentum" in der Bundeshauptstadt leitet, und Vorsitzender der Kammer für Theologie der Evangelischen Kirche in Deutschland ist, sieht Luther auch als Kind seiner Zeit. "Luther war ein glühender Apokalyptiker", sagt Markschies. Er habe sich gern in einer Linie mit Johannes dem Täufer gesehen, "als Prediger, der auf die Wiederkunft Christi verweist." Lange habe Luther auf eine große Bekehrung der Juden zum christlichen Glauben gehofft. Doch immer mehr musste er merken, dass es dazu nicht kam. "In seiner Schrift ,Von den Juden und ihren Lügen' zieht er schreckliche Konsequenzen daraus: Er brandmarkt die Juden als verstockt, als Menschen, die gegen den Heiland seien, will ihre Synagogen anzünden und sie des Landes verweisen", sagt Markschies.

Zudem attestiert der Berliner Historiker dem Reformator Martin Luther etwas, was so gar nicht zur heute als "Weltbürgerin" bezeichneten Reformation und auch nicht zur Ende Mai beginnenden "Weltausstellung der Reformation" in Wittenberg passen mag. "Luther war in manchen Punkten auch sehr provinziell", sagt Markschies. Im Mansfeldischen, der Heimat Martin Luthers, habe es kaum jüdische Gemeinden gegeben. Begegnungen waren kaum möglich, Vorurteile traten an ihre Stelle.

"Luther verhielt sich zeit seines Lebens in einigen Bereichen wie einer von der Schwäbischen Alb, der nach Paris kommt und nicht weiß, wie man die Fahrkartenautomaten für die Metro bedient", sagt Christoph Markschies. Ganz im Gegensatz zu anderen Reformatoren: Calvin zum Beispiel lebte selbst in großen Städten wie Paris.

Das freilich kann die antijüdischen Ausfälle Luthers auch in den Augen von Markschies nicht rechtfertigen. Der Kirchenhistoriker begrüßt, dass sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) unter maßgeblichem Einfluss der Präses ihrer Synode, Irmgard Schwaetzer, in den letzten Jahren deutlich von Luthers Antisemitismus distanzierte. Der erste Schritt dazu geschah vor zwei Jahren, als sich das Kirchenparlament der EKD in Anwesenheit des Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, in Bremen versammelte. Damals beschlossen die Synodalen einstimmig eine sogenannte Kundgebung: Von einer "notwendigen Erinnerung" sprachen die Kirchenparlamentarier da und davon, dass die Reformatoren in einer "Tradition judenfeindlicher Denkmuster, deren Wurzeln bis in die Anfänge der Kirche zurückreichen", gestanden hätten. Besonders aber setzte sich die Evangelische Kirche mit der Wirkungsgeschichte von Luthers Judenfeindschaft auseinander. "Einfache Kontinuitätslinien lassen sich nicht ziehen", hieß es 2015 in dem Text. "Gleichwohl konnte Luther im 19. und 20. Jahrhundert für theologischen und kirchlichen Antijudaismus sowie politischen Antisemitismus in Anspruch genommen werden." Dass der späte Luther für den Antisemitismus der NS-Zeit in Anspruch genommen werden konnte, "stellt eine weitere Belastung für die evangelische Kirche dar".

Fortgesetzt wurde diese Positionierung dann im vergangenen Herbst in Magdeburg. Dort beschloss das Kirchenparlament eine weitere Erklärung, in der man sich auch von der christlichen Mission unter Juden distanzierte. Eine Aussage, die sich vor allem auf den frommen, konservativen Rand des Protestantismus bezog. Denn im pietistischen und evangelikalen Milieu gibt es Verbindungen zu sogenannten Messianischen Juden - Gruppen, die sich selbst als "Juden, die an Jesus glauben" definieren: Dabei handelt es sich um Gemeinden, deren Mitglieder aus dem Judentum stammen, die von Form und Inhalt her aber eher christlichen Freikirchen gleichen. Und die an den Rändern der jüdischen Gemeinden nach Kräften um neue Mitglieder werben. Auch auf dem von der EKD kürzlich mit 500.000 Euro unterstützten Missionskongress "Dynamissio" waren zwei solcher Gruppen mit Marktständen präsent.

Insgesamt aber wird man der Evangelischen Kirche zum 500. Jubiläum der Reformation wohl attestieren können, sich in den vergangenen Jahren mit keinem Aspekt der Theologie Martin Luthers so intensiv beschäftigt zu haben wie mit dessen Judenfeindschaft. Dass sich die evangelische Kirche heute glaubwürdig davon distanziert, ist nicht nur im Protestantismus mittlerweile Konsens. Auch Zentralratspräsident Schuster sprach im vergangenen Herbst von der "theologischen, aber auch freundschaftlichen Verbundenheit zwischen Judentum und evangelischer Kirche, die im Alltag von der Mehrheit der Gläubigen gelebt" werde - was dann doch deutlich anders klingt, als die Hetztiraden des alternden, jähzornigen Reformators Martin Luther.

(RP)
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