Köln Lydia Davis ist die Königin der Kurzgeschichte

Köln · Die 67-jährige Amerikanerin stellte ihren neuen Erzählband in Deutschland vor. Eine Begegnung.

Lydia Davis ist 67 Jahre alt und sehr zart. So hatte man sich die Frau gar nicht vorgestellt, die das ehrwürdige Genre der Short Story mit einem schweren Hammer zerhaut und die Trümmer zu etwas Neuem zusammensetzt. Einer ihrer schönsten Texte heißt "Liebe", sieht aus wie ein Gedicht und geht so: "Eine Frau verliebte sich in einen Mann, der schon seit Jahren tot war. Es reichte ihr nicht, seine Sakkos auszubürsten, sein Tintenfass abzustauben, seinen elfenbeinfarbenen Kamm in die Hand zu nehmen: Sie musste über seinem Grab ein Haus bauen und Nacht für Nacht bei ihm im dunklen Keller sitzen."

Davis sitzt im nagelneuen Kölner "Qvest"-Hotel am Gereonskloster und trinkt Orangensaft. Sie hat Hunger, sagt sie, aber im Hotel gebe es nichts mehr. Sie lächelt bitter. Am Abend hat sie die letzte Lesung ihrer Deutschland-Tournee, sie wird ihren viel gepriesenen Story-Band "Kanns nicht und wills nichts" präsentieren, und wie alle vorangegangenen Auftritte musste auch dieser in einen größeren Saal verlegt werden. In Berlin las sie sogar im Admiralspalast: "Very nice", findet sie. Davis spricht leise, aber bestimmt, und wenn ihre Antwort fertig ist, sieht sie einen eindringlich an, als fordere sie die nächste Frage.

Davis hat sieben Erzählbände veröffentlicht und einen Roman, und lange galt sie als Geheimtipp, war das, was man "writer's writer" nennt, eine Autorin für Autoren also. Zu ihren Bewunderern gehört die erste Liga der US-Literatur, angeführt von Jonathan Franzen. Davis war die erste Ehefrau von Paul Auster, sie lebt mit ihrem zweiten Ehemann, dem Künstler Alan Cote, in Upstate New York und lehrt Creative Writing. Sie übersetzte Proust und Flaubert ins Englische, und 2013 wurde sie mit dem Man Booker Prize geehrt, jenem Preis, den im Gegensatz zum Nobelpreis die wirklich tollen Autoren bekommen.

Man kann mit ihr wunderbar über Literatur sprechen, über deutschsprachige zumal. Sie liest Handke und Thomas Bernhard, W.G. Sebald und Peter Bichsel. Und wenn man sie fragt, was sie Leuten rät, die vorhaben, ebenfalls Prosa zu schreiben, antwortet sie: "Führen Sie ein Journal. Schreiben Sie schöne Sätze hinein. Sätze von Autoren, die Sie mögen. Beobachtungen. Gefühle. Sie werden auf diese Weise niemals aufhören, offen gegenüber der Welt zu sein. Am Ende wird das Journal zum Spiegel Ihrer selbst. Das führt dann wiederum zu Erkenntnissen."

Ihre Storys sind klug und präzise, sie schleift jede überflüssige Silbe ab. Sie kondensiert und konzentriert ihre Texte bis zum Minimum, was sie mitunter kalt wirken lässt. Aber auf dem Grund dieser klaren Prosa leuchtet Humor. Sie ist eine Korrespondentin, die aus der Gedankenwelt ihrer Zeitgenossen berichtet. Sie kann in Köpfe schauen, meint man, und in Herzen. Und die Form, die sie ihren zum Teil nur einen Satz langen Texten gibt, variiert je nach Thema: Beschwerdebrief, Nachruf, Gedicht, Grabstein-Inschrift, Witz, Essay, Fabel. Eine Story, die unter dem Titel "Lokale Nachrufe" erschien, geht so: "Albert war tierlieb." Und eine andere so: "Elva, 81, besuchte die zweiklassige Schule in North Petersburgh."

So läuft es immer bei ihr, dass man über das Ausmaß des Weißanteils auf einer Seite ebenso staunt wie über das Geschriebene. Die Form ist bei ihr so wichtig wie das Gesagte. "Ich weiß, dass ich nicht die übliche Art von Short Story schreibe", sagt sie. "Aber ich sehe mich nicht als Lyriker oder Philosoph. Ich bin Autorin von Kurzgeschichten. Allerdings von Kurzgeschichten, die kürzer sind als andere, schräger und geheimnisvoller."

Sie müsse nun aufbrechen, um sich etwas zu essen zu besorgen, sagt sie. Bevor sie geht, will man noch wissen, ob es stimmt, dass sie ein Buch aus dem Niederländischen übersetzt hat, obwohl sie nie Niederländisch gelernt hat. "Ja, das stimmt", sagt sie. "Ich spreche ein paar Worte Deutsch. So habe ich mir das Niederländische erschlossen. Ich habe Brücken aus einer Sprache in die andere gebaut."

Beim Abschied freut man sich auf seinen ersten Eintrag ins Journal.

(RP)
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