Dortmund Martin Luther Superstar

Dortmund · In Dortmund wurde die Uraufführung von Dieter Falks und Michael Kunzes Pop-Oratorium über Luther bejubelt.

Spannungsvolle Klavierakkorde hängen schwer in der Dortmunder Westfalenhalle, eine Laserlicht-Woge schaukelt über dichtem Bühnennebel. Plötzlich schießt ein Knabe empor und reckt beide Fäuste zum Hallendecken-Himmel. Martin Luther - ein starker Rebell von Kindesbeinen an? Ganz so einfach ist das Bild, das das Pop-Oratorium "Luther" vom Kirchenreformator zeichnet, nicht. Librettist Michael Kunze ("Elisabeth") und der Düsseldorfer Komponist Dieter Falk (Produzent von Pur, Monrose oder Paul Young) stellen ihn zwar als hartnäckig und stur dar, aber auch als von Zweifeln und Ängsten gebeutelten, zutiefst gläubigen Christenmenschen.

Was beim Besuch des Pop-Oratoriums sofort überwältigt, sind seine Dimensionen: Mehr als 3000 Sänger haben die Veranstalter von der "Creativen Kirche" und der Evangelischen Kirche für die zwei Aufführungen am Reformationstag rekrutiert. Darunter befinden sich auch 720 Katholiken und 300 konfessionslose Menschen. Die ältesten Teilnehmerinnen sind 83, die jüngsten neun Jahre alt.

Einige warten noch draußen auf dem Gang auf ihr Einlasssignal, während 8000 Zuschauer um sie herum flanieren und neben Bratwurst, Cola und Bier auf in diesem Umfeld ungewöhnliche Stände stoßen. Die Zeitung "Unsere Kirche" sucht Abonnenten und verteilt ein kostenfreies Spezial-Exemplar, worin Falk bekennt: "Ich bin Christ und Musiker, kein christlicher Musiker."

Ein paar Schritte weiter halten Mitarbeiter der Deutschen Bibelgesellschaft eine farbenfrohe Buchpalette bereit: In hypermodernem Design erscheint die "Basisbibel" mit einer neuen Übersetzung des Neuen Testaments und der Psalmen. "Die Übersetzer haben darauf geachtet, dass ein Hauptsatz höchstens einen Nebensatz hat", erklärt der Mitarbeiter. So entspreche die Bibel heutigen Lesegewohnheiten.

Das Musical würdigt natürlich die für Christen aller Konfessionen anerkennenswerte Leistung Luthers, die Bibel ins Deutsche übersetzt zu haben. Als Antwort auf die ständige Frage des mächtigen Chors "Wer ist Luther?" bietet in einer Szene der Verleger Johann Froben dessen Schriften zum Kauf an. Es folgt ein Loblied auf den Buchdruck, die die Stärke von Text und Musik unterstreicht: Die Sätze "Multiplikation bricht die Tradition / Multiplikation ist die Zukunft" werden hier zum eingängigen Refrain, der den Fortschritt auf den Punkt bringt.

Musikalisch geht "Luther" selten über den Musical-Pop-Standard heraus. Manchmal bezieht sich Falk allerdings auf Luther-Choräle oder erlaubt sich Ausflüge in den Gospel - wie beim hymnischen Abschluss "Wir sind Gottes Kinder", den die Zuschauer im Stehen bejubeln.

Wenn die Menschenmenge beim Wormser Reichstag erstmals Luther begegnet, feiert sie zu Eurodance-Klängen. Und wenn Dominikanerpater Faber den Reformator als Ketzer verurteilt, dehnt er die Worte wie Grönemeyer ("Die Lösung heißt: Weg mit dem Mööönch!"). Immer grüßt die Rockgitarre.

Mit Videobildern von beseelten Chorsängern, Nahaufnahmen vom zweifelnden Luther-Darsteller Frank Winkels, dem Bass-Solist Andreas Kammerzelt als Apostel Paulus im Traum erscheint, um ihn zu ermutigen, erinnert das Oratorium an Multimedia-Missionsveranstaltungen amerikanischen Zuschnitts. Seine Kunst liegt jedoch auch in der Brechung: Der von Luther verhasste Ablasshandel wird als Verkaufsveranstaltung von Fernsehpredigern inszeniert. Bühnenbild und Requisite sind schlicht gehalten: Regisseur Andreas Gergen und Choreographin Doris Marlis arbeiten mit Ikea-Stühlen, Nebel und Licht - und schaffen eindrucksvolle Bilder, die dem Charakter "ihres" Luthers entsprechen: ein normaler Mensch im Kapuzenpulli, der der Kraft von Wahrheit und Glaube vertraut.

(RP)
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