Düsseldorf Schläpfer erzählt aus dem Alltag des Choreografen

Düsseldorf · Der Direktor des Rheinopernballetts, Martin Schläpfer, tanzt ein neues Stück von Hans van Manen.

Man muss sich den Choreografen als einsamen Menschen vorstellen. Allein betritt Martin Schläpfer die Bühne. Morgengraues Zwielicht. Der Mann wirkt aufgewühlt, wie aus dem Schlaf getrieben. Nur kurz hockt er sich noch auf einen Stuhl, nimmt die Denkerpose ein, doch nach vorn gelehnt, bereit für den Absprung. Sein Kopf ist ja längst voller Musik - Schubert, Mahler, die Fetzen jagen einander. Der Mann springt auf, jetzt ist sein Körper voller Spannung, eine Drehung, ein Sprung, der Choreograf wird zum Medium seiner Einfälle, gibt der Musik menschliche Gestalt. Martin Schläpfer tanzt.

"Alltag" hat Hans van Manen die kleine, intime Arbeit genannt, die er seinem Freund, dem Ballettchef der Rheinoper, Martin Schläpfer, choreografiert hat. Es ist eine Fingerübung des inzwischen 82 Jahre alten, niederländischen Altmeisters und zugleich ein ungemein berührendes Stück. Zeigt es doch so schlicht wie raffiniert, worum es im Tanz geht: um das Ringen des Künstlers mit der Materie, mit Musik, dem eigenen Körper, dem Raum, um die Verwandlung von Leben, Erfahrungen, Stimmungen in die Sprache der Bewegung, um den Versuch, aus all den Impulsen des täglichen Lebens, etwas Gültiges zu formen.

Martin Schläpfer, 55 Jahre alt, hat auf den Punkt trainiert für seine Rückkehr auf die Bühne als Tänzer. Und er zeigt, wie Ausdruckstiefe, Lebenserfahrung und die unermüdliche Selbstreflexion eines gereiften Künstlers Tanz zum Erlebnis machen, auch ohne die Virtuosität und Sprungkraft des jungen Tänzers. Dabei ist Schläpfers Auftritt durchaus athletisch. Was ihn aber so anrührend macht, ist die zarte Melancholie, die von dem Menschen auf der Bühne zu denen im Saal spricht. Wenn Schläpfer in der Rolle des Choreografen seine Solistin Marlucia do Amaral herbeifantasiert, die bald aus dem Schatten tritt, einen Tanz mit ihm wagt. Und die beiden dann abgelöst werden von einem jungen Paar (Doris Becker und Alexandre Simoes), das ein zeitlos berückendes Pas de Deux tanzt, ganz im edlen Stil des Hans van Manen, dann handelt dieses Stück nicht nur vom "Alltag" des Choreografen. Es erzählt auch vom Vergehen der Zeit, vom Älterwerden, von der Weitergabe an die nächste Generation.

Gerahmt hat Schläpfer seinen Abend "b.21" mit George Balanchine duftiger "Serenade" zur Streicherserenade in C-Dur von Peter Tschaikowsky. In dieser ursprünglich für die School of American Ballet in New York entworfenen Choreografie blühen die Formationen, erlebt der Zuschauer neoklassizistische Filigranität. In seiner klassischen Symmetrie und delikaten Durchsichtigkeit erhebt das Stück höchste Ansprüche an eine Compagnie. Durchaus selbstbewusst hat Schläpfer dieses Stück also ins Programm genommen, um die Reifung seines Ensembles zu beweisen. Und das gelingt.

Zum Abschluss dann Brahms. Mit seiner Choreografie der 2. Symphonie, die 2013 in Duisburg Premiere hatte, setzt Schläpfer ein aus den Tiefen des Wörthersees geschöpftes Gegengewicht zum blumigen Beginn des Abends. Bei Brahms zeigt der Ballettdirektor mit großer Souveränität, wie er den klassischen Tanz neu definiert, die Traditionen siebt, neu zusammensetzt, zeitgemäße Bilder schafft, die der Wucht des Sinfonischen standhalten. Die Düsseldorfer Symphoniker arbeiten sich etwas ruppig durch diesen Abend, doch am Ende gibt es langen Applaus - und einzelne Buhrufe. Schläpfer hat mit "b.21" noch nicht gezeigt, wohin er in den nächsten Jahren steuert. Aber er hat das Niveau demonstriert, auf dem er künftig arbeiten kann. Wenn er sie wieder auf sich nimmt, die Einsamkeit des Choreografen.

(RP)
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