Düsseldorf Martin Schläpfer feiert Hochzeit

Düsseldorf · Frisch und unbeschwert verwandelt der Chef des Balletts am Rhein in "b.27" Musik von Bach und Beethoven in Tanz. Dazu gibt es eine historische Choreografie von George Balanchine und einen wuchtigen Totentanz von Kurt Jooss.

Die bunten Lampions baumeln schon, alles ist gerichtet fürs Hochzeitsfest. Doch noch bevor die ersten Töne von Beethovens Klaviervariationen über ein Ballett von Jakob Haibel erklingen, steht Yuko Kato allein auf der Bühne, bewegt ihre Hände, als forme sie ein Kraftfeld, dann, als tauche ein Schwan seinen Kopf ins Wasser wie bei einem Schattentheater, versonnen und voller Anmut.

Energie, Bewegung, Spiel, so leicht und heiter kann die Definition von Tanz sein - und der Chef des Balletts am Rhein entwirft im ersten Teil seiner neuen Kreation dann auch fast unbeschwert Turbulenzen zwischen den Geschlechtern. Dabei bringt er humorvoll die Charaktere in seiner Compagnie zur Geltung, feiert den Reichtum der Vielfalt. Übermütig, herausfordernd, grazil, manchmal schalkhaft schmollend treten seine Tänzer auf, binden sich ein in Formationen, fordern und umgarnen einander. Diese Szenen haben etwas beherzt Frühlingshaftes, sind nicht zaghaft pastellig, sondern kräftig, lebendig, vorwitzig wie Krokusse. Jedenfalls wirkt das alles für Schläpfer ungewohnt unbekümmert, wie befreit von winterschwerer Grübelei. Tanz als Begegnung und Bewegung, als Ausdruck der Lebensbejahung, zu der man sich entschließen kann.

Irgendwann bricht Schläpfer allerdings mit dem schönen Spiel, wird konkret, erzählt eine Geschichte. Das wirkt ein wenig gewollt, doch hat Beethoven seine Variationen nun mal über ein Ballett geschrieben, das den Titel "Le nozze disturbate - die gestörte Hochzeit" trägt. Und so hebt Schläpfer bald ein Paar hervor durch raffiniert-verspielte Figuren, bis eine gestrenge Herrin im schwarzen Anzug dazwischentritt und das Spiel der Liebenden unterbindet.

Doch dann ist es vorbei mit dem Lampionzauber. Denys Proshayev am Klavier stimmt Bachs Partita Nr. 6 in e-moll an und wird nun viel differenzierter, vielfarbiger im Ausdruck als noch bei Beethoven. Auf der Bühne neues Licht, neue Konzentration, neue Ernsthaftigkeit. Nun zeigt Schläpfer ein weiteres Mal, wie vollendet er Musik in Tanz verwandeln kann, ohne sich an einzelne Rhythmen oder Phrasen zu klammern. Mal lässt er sich ein auf die barocke Polyphonie, überträgt Motive an einzelne Tänzer, dann wieder zieht er nur den großen Spannungsbogen aus der Musik oder lässt Marlucia do Amaral eines ihrer unverwechselbaren, stolzen, aufmüpfigen und doch verletzlichen Solos entwickeln. Und so sieht und fühlt man Bach an diesem Abend, spürt die Erhabenheit seiner klaren, kalkulierten Kompositionen, erlebt, wie sie die Formationen einer großen Compagnie formen, als führe man einen Magneten über Eisenspäne.

Schläpfer hat in Düsseldorf schon ideensprühendere Choreografien gezeigt, doch bei Bach überträgt er die edle Geschlossenheit der Form auf seine Tänzer, ohne ihnen die Freiheit im Detail zu nehmen, und es gelingt ihm, dieses Kraftfeld zu halten, obwohl die komplexe Musik dem Publikum einiges abverlangt. Bei Schläpfer hat der Tanz das erste und letzte Wort, immer wieder lässt er seine Choreografie in die Stille zwischen den Sätzen weiterlaufen, setzt Zeichen allein zwischen Tänzer und Betrachter.

Gleich zu Beginn des neuen Ballettabends "b.27", der seine Premiere an der Düsseldorfer Rheinoper erlebte, hatte noch die Musik den Vortritt gehabt: Dragos Manza an der Violine und Alina Bercu am Klavier spielen Igor Strawinskys virtuoses, vielschichtiges "Duo Concertant". Und zwei Tänzer schauen zu, hören, genießen. In seiner Choreografie aus dem Jahr 1972 setzte George Balanchine zunächst dieses Bild, dann beginnen seine Solisten ihre Impulse aus der Partitur zu ziehen. Und es wird augenfällig, wo Schläpfer seinen Umgang mit Musik studiert hat. Natürlich gewinnen bald doch die beiden Solisten Ann-Kathrin Adam und Marcos Menha die ganze Aufmerksamkeit für sich, zwei elegante, klassische Tänzer, die genau harmonieren. Schade nur, dass das Musiker-Duo so weit hinten auf der Bühne platziert ist, das schluckt Nuancen, lässt Strawinsky unnötig kantig und distanziert erscheinen.

An den Schluss seines Abends setzt Schläpfer dann noch einen bildmächtigen Totentanz: "Der grüne Tisch" von Kurt Jooss zu Musik von Fritz Cohen. 1932 wurde die Arbeit in Paris uraufgeführt und machte den deutschen Choreografen berühmt, denn er fand Bilder für die Erfahrungen und Ängste seiner Zeit. "Der grüne Tisch" ist ein Handlungsballett, das in acht Bildern vom Krieg erzählt, von den Verhandlungsführern am Konferenztisch, die sich nicht einigen können, von den Frauen, die ihre Soldatenmänner ziehen lassen müssen, vom Kampf auf dem Feld, von der Attacke einer Partisanin, vom Schieber, der die Dirnen zu den Soldaten führt.

Das wirkt wie die Erweckung eines Käthe-Kollwitz-Gemäldes und ist doch zeitlos in seiner eindringlichen Darstellung der Maschinerie des Krieges. Das Ballett am Rhein beweist mit diesem wuchtigen, intensiven Schlussstück einmal mehr, dass es auf keinen Stil, keine Tanzepoche festgelegt ist, sondern sich bruchlos auch in expressionistischen Ausdruckstanz einfindet. Und Chidozie Nzerem als stampfenden, schnaubenden Tod, der sich unbeirrt Mensch um Mensch einverleibt, wird man lange nicht vergessen.

Viel Applaus für einen fordernden, eindringlichen Abend.

(dok)
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