Düsseldorf Abschied von Oscar-Legende Schell

Düsseldorf · Der Schauspieler gewann als erster deutschsprachiger Mime 1962 den Oscar für "Das Urteil von Nürnberg". Legendär war seine Liaison mit Soraya von Persien. 2013 hatte er noch einmal geheiratet. Nun starb er 83-jährig.

Den Oscar bekam er für einen Moment der Stille. Maximilian Schell war 31 Jahre alt, als er den Verteidiger eines Nazi-Schergen im "Urteil von Nürnberg" spielte. Legendär ist die Szene, in der er das Schlussplädoyer hält. Wie er sich die Brille aufsetzt, sie wieder von der Nase nimmt. Ein Mann, der eigentlich zu schön ist für diesen Job. Doch dann hebt er die Stimme und ruft jenen Satz in den Gerichtssaal, den man so schnell nicht vergisst: "Die ganze Welt ist genauso verantwortlich für Hitler wie Deutschland."

Er redet sich in Rage: "Wo war Churchill? Was unternahm der Vatikan?" Man würde das heute nicht mehr so expressionistisch spielen, so aufbrausend, sondern viel zurückgenommener. Aber am Ende schauen sie ihn an, Burt Lancaster und Spencer Tracy, sie sitzen da und gucken auf den Mann, aus dessen Schopf sich eine Strähne gelöst hat, sie blicken in seine funkelnden Augen — und schweigen.

Maximilian Schell ist tot, er wurde 83 Jahre alt, und wer ihn zuletzt erlebte als ziemlich selbstverliebten Schalträger, der in Sendungen des ZDF im Plauderton Geschichte erklärte, in Fernsehfilmen als weißmähniger Grantler auftrat oder in Interviews von seiner fast 50 Jahre jüngeren Frau schwärmte und späte Kinderwünsche formulierte, darf nicht vergessen, dass dieser Mann ein Hochbegabter war, ebenso talentiert als Schauspieler wie als Regisseur und Autor. Ein Weltstar.

Er wurde in Wien in eine Künstlerfamilie geboren, der Vater ein Schriftsteller aus der Schweiz, die Mutter Schauspielerin aus Wien. Bereits als Jugendlicher stand er auf der Bühne, später holte ihn Gustaf Gründgens für seinen "Hamlet" nach Hamburg. Bald ging Schell nach Hollywood, trat neben Marlon Brando, Judy Garland und Peter Ustinov auf, drehte mit Vittorio de Sica und Sidney Lumet, spielte in "Die Brücke von Arnheim", "Steiner - Das eiserne Kreuz", "Die Akte Odessa" und noch 1998 in "Deep Impact". Er konnte alles, vom Gentleman-Gauner zum Sadisten in Uniform, man nahm ihm jeden Charakter ab. Die 60er Jahre waren seine große Zeit, Schell war eine Erscheinung, man sehe sich noch einmal "Topkapi" an, wo er so elegant ist, so witzig und dabei so unfassbar cool, dass einem als Vergleich aus heutiger Zeit nur George Clooney einfällt. Er wurde vier Mal für den Oscar nominiert, er war der erste deutschsprachige Gewinner des Schauspiel-Oscars seit Emil Jannings 1929 und blieb es 49 Jahre lang — bis zum Triumph von Christoph Waltz 2010.

Dass Schell bei allem Genie das genoss, was man das süße Leben nennt, machte den Mann mit den unergründlichen Augen und den dichten Brauen zu einer Lieblingsfigur in den Klatschblättern. Er pendelte zwischen dem Almhäuschen seiner Familie, seinem Haus in Beverly Hills und Hotels in London und New York, wo er gelegentlich Opern inszenierte. Seine große Liebe galt der Literatur. Er verfilmte die Turgenjew-Novelle "Erste Liebe", und als einer seiner engsten Freunde galt der Dramatiker und einstmalige tschechische Präsident Vaclav Havel. Als Havel 1989 nicht ausreisen dufte, um den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegen zu nehmen, verlas Schell die Dankesrede.

Er ist Patenonkel der Schauspielerin Angelina Jolie, deren Vater Jon Voight in Maximilian Schells Verfilmung von Dürrenmatts "Der Richter und sein Henker" spielte. Er drehte eine umstrittene Dokumentation über seine an Demenz erkrankte Schwester Maria Schell, zu der er lange keinen Kontakt gehabt hatte. Drei Jahre war er mit Soraya liiert, der letzten Gattin des Schahs von Persien, einmal verteidigte er sich mit einer Zeitungsanzeige gegen den Vorwurf sexueller Belästigung, und mit 82 Jahren heiratete er noch einmal — es war das zweite Mal. Es wurde nicht langweilig mit ihm.

Wie faszinierend diese Mischung aus Weltgewandtheit, Egozentrik, Charme und Virtuosität waren, kann man in einigen der Regiearbeiten Schells erleben. Die beste ist die Dokumentation "Marlene" aus dem Jahr 1982. Darin fasst er sein 17 Stunden langes Interview mit der 83-jährigen Marlene Dietrich in Paris zusammen, ohne die zurückgezogen lebende Dietrich je zu zeigen.

Es gibt unfassbare Dialoge in diesem Film. "Wie trafen Sie Burt Bacharach?", will Schell wissen. "Das habe ich doch in meinem Buch geschrieben. Pah, pah, pah!", blafft die Dietrich. Dann hört man Schell lachen, ein ganz wunderbares Lachen ist das, erst leise und dann kräftig. Er wickelt die Dietrich um den Finger, er schäkert, und sie macht mit. Schließlich schnurrt sie: "Okay, ich ich tu's. Nur für dich. Für niemanden sonst." Und bevor sie zu erzählen beginnt, fragt sie nach der Uhrzeit. "So spät schon? Ich habe dir ein bisschen was zu essen gemacht."

Vor ein paar Tagen diagnostizierten die Ärzte bei Maximilian Schell eine Lungenentzündung. Ende vergangener Woche kollabierte er in einem Hotel in Kitzbühel, wo er für das ZDF drehte. Nun ist er im Klinikum Innsbruck gestorben.

(RP)
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