Recklinghausen Maximilian Schells letzte Rolle

Recklinghausen · In der Schiller-Verfilmung "Die Räuber" spielt er den alten Vater Moor. Gedreht hat den Film der Leiter der Ruhrfestspiele Frank Hoffmann. Er macht aus dem Stoff einen modernen Thriller, der in der Bankenwelt spielt.

Er ist auf die Alm gestiegen in Kärnten, hinauf zum Berghof von Preitenegg, in das Haus von Maximilian Schell. Frank Hoffmann, Intendant der Ruhrfestspiele, wollte den großen Schauspieler für einen Film gewinnen: "Die Räuber" - einen Thriller, "sehr frei nach Schiller", der im abgebrühten Milieu der Finanzwelt spielt. "Sturm und Drang" unter Bankern - den Kontrast stellte sich Hoffmann reizvoll vor. Und als Patriarch in der Welt der Gier: den alten Schell.

Eigentlich ist Hoffmann ja Theatermann, an großen Häusern in ganz Europa führt der Luxemburger Regie. Er ist bestens vernetzt, holt immer wieder Hollywoodstars zu seinem Festival nach Recklinghausen, dazu anspruchsvolle Gastspiele der großen deutschen Bühnen. Auch Schell hatte bei ihm schon auf der Bühne gestanden. Daher kannten sie einander.

Aber Hoffmann ist eben nicht nur Theatermann. Da ist noch eine zweite Leidenschaft in seinem Leben für ein anderes Medium: zwei experimentelle Filme hat er schon gedreht. Dann eine längere Pause gemacht. Aber die Idee, Schiller radikal in die Gegenwart zu transponieren, bewegte ihn schon lange. Und so begann er, an einem Drehbuch zu den "Räubern" zu arbeiten, an der Geschichte zweier Brüder - ehrgeizig, eifersüchtig, gekränkt der eine, idealistisch, leidenschaftlich, freiheitsliebend der andere. Auf heutige Weise wollte Hoffmann von diesem "archaischen Brüderpaar" erzählen, nur die starken Figuren von Schiller verwenden, nicht dessen Sprache, bloß kein gefilmtes Theater. Und Schell, ebenfalls ein Wanderer zwischen den Gattungen der Kunst, sollte der Vater der Brüder sein, der alte Moor. Es gab nur ein Problem: Schell hatte bereits erklärt, dass er keine Filme mehr drehen wollte.

Es gab also eine Mission, als Hoffmann in Kärnten auf die Alm kletterte. "Wir haben Tee getrunken, über Kunst und Filme gesprochen", erzählt Hoffmann. Schell sei nicht nur ein großartiger Schauspieler gewesen, er habe auch geschrieben, gemalt, hervorragend Klavier gespielt, vor allem aber sei er ein Sammler gewesen. Die Idee, Schiller in die äußerlich kalte, aber doch von Leidenschaften getriebene Finanzwelt zu verlagern, reizte den Schauspieler jedenfalls, er mochte solche Wagnisse. So war bald ausgemacht, dass er für Hoffmann doch noch einmal vor die Kamera treten würde. Und während sie plauderten, fiel Hoffmann ein Bild auf, das hinter dem Sofa stand. Was das sei, fragte er Schell. "Ein Bild von Picasso mit einer Widmung an mich", antwortete der. Frank Hoffmann lächelt, als er das erzählt. "Das Bild stand einfach auf dem Boden. Das war Schell."

Der alte Vater Moor in der "Räuber"-Verfilmung sollte Schells letzte Filmrolle werden. Im Februar 2014 ist der gebürtige Wiener im Alter von 83 Jahren gestorben. In seinem letzten Auftritt ist noch einmal zu erleben, was seine Klasse ausgemacht hat: Schell gibt den alten Moor nicht als schwächlichen Vater, der den Intrigen seines Sohnes zum Opfer fällt. Er macht aus ihm einen starken Patriarchen, einen selbstbewussten Mann, der sein Leben gelebt hat, bereit, für die Familie Opfer zu bringen - auch das Opfer, Schuld auf sich selbst zu laden.

Doch dann laufen die Geschäfte aus dem Ruder, die Söhne bekriegen einander, die Familie zerbricht, das Oberhaupt muss sein Scheitern erkennen. Dieser Punkt muss Schell gereizt haben, dieses Wissen um die Vergeblichkeit eines stolzen Mannes, denn es gelingt ihm, Trauer, Enttäuschung, Lebensverdruss zu zeigen, nur durch den Blick. Und das wirkt ja immer am Bittersten, wenn einer gebrochen ist, aber nicht die Haltung verliert.

"Schell konnte das spielen: Stärke behaupten, aber Fragilität durchscheinen lassen", sagt Hoffmann. Auch mit 83 Jahren sei er perfekt vorbereitet zum Set gekommen, habe dann endlos mit ihm an der Rolle gefeilt, manchmal bis tief in die Nacht. So einer kann einen Film auch sprengen. "Ja", sagt Hoffmann, "aber wir haben einander vertraut. Schell war immer präsent in allem, was er gespielt hat, seine Persönlichkeit war sehr stark. Er hat den Film gemocht, darum ist er noch einmal vor die Kamera getreten, und dann hat er den Film geprägt." Ein eigenwilliges Werk ist so entstanden, das Schillers Glut im eiskalten Gefühlsgewässer der Gegenwart abschreckt. Kein Film für Theaterfreunde, die "ihren Schiller" sehen wollen. Aber einer für Filmfreunde mit Lust am Experiment.

(RP)
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