Die "Ode an die Freude" zieht auch Jazzer in ihren Bann

Dass sich die Jazzer über die Klassik hermachen, ist keine Sensation. Altes im neuen oder frisierten klanglichen Gewand schenkt dem Hörer besonders starke Erkenntnisschübe, vor allem wenn die Originale weithin bekannt sind und somit ein unverwechselbares melodisches Belastungsmaterial bieten.

Auf dieser Schiene fährt nun erneut das Trio um den Kontrabassisten Dieter Ilg vor und schenkt uns einen Blick auf einen klassischen Giganten. Ilg hat die Platte konzipiert, und den Grad der Vertrautheit umreißt schon ihr Titel: "Mein Beethoven". Das ist eine Art persönliche Heimholung, eine herzliche Umarmung, aber sie fällt nicht nassforsch aus, "Mein Beethoven" - das ist ein liebender Blick aus Erinnerung und aus Verehrung.

Mit seinen Kollegen Rainer Böhm (Klavier) und Patrice Héral (Schlagzeug) ist Ilg schon seit Jahren auf großer Klassikfahrt. Bei ihrem Hauslabel Act haben sie bereits im Revier von Verdis "Otello" gewildert und sich außerdem den alten Richard Wagner und dessen unvergängliche Evergreens zur Brust genommen. Natürlich haben sie auch dort mit Themen und Rhythmen gespielt und gefuchtelt, und immer war das Ergebnis höchst raffiniert, ein reiches Geschenk für Entdecker des Jazz.

Bei "Mein Beethoven" geht es abermals nicht um Entlehnungen, sondern um Erweiterungen. Im Booklet spricht Ilg denn auch von "Inspirationen", wenn er die Quellen offenlegt: Klaviersonaten ("Pastorale", "Pathétique", "Hammerklavier", "Mondschein", Sonaten op. 31/2, 109 und 111), Streichquartetten (op. 132 und 133), der 9. Sinfonie mit der "Ode an die Freude" sowie die "Irischen Lieder".

Ilg und Kollegen gelingen etliche große und kleine Geniestreiche, die sich nah an der Vorlage bewegen (Beginn des langsamen Satzes der "Pathétique") oder sich ins Uferlose entfernen. Dabei kommt es wie selbstverständlich zu jenen für Beethoven typischen "heiligen Momenten", also zur Vermählung von Erhabenheit und revolutionärem Zukunftskitzel. Stets ist dieser subtile Kammerjazz näher am kollektiven Schweigen als am instrumentalen Amoklauf. Beethoven hat diese drei fabelhaften Musiker zu Höchstleistungen animiert. (Act 9582-2)

(RP)
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