Thomas Frings "Mein Pfarrerleben war in hohem Maße demotivierend"

Weil er keine Zukunftsperspektive in seiner Pfarre sah, zog sich der Pastor ins Kloster zurück. Dort schrieb er ein Buch über die Kirche.

Düsseldorf Das ist nicht das Buch eines Aussteigers. Vielmehr hat Pfarrer Thomas Frings - Großneffe des Kölner Erzbischofs Joseph Kardinal Frings - klar den Entschluss gefasst, dass diese Art der Seelsorge entmutigend ist. Also nahm der gebürtige Klever, Jahrgang 1960, Abschied von seiner Gemeinde und ging in ein niederländisches Benediktinerkloster. Zeit, über sich und die Kirche in Ruhe nachzudenken. Daraus ist nun ein auch berührendes Buch entstanden.

Ganz banal: Wie geht es Ihnen?

Frings Das ist schwer zu beantworten. Denn es ist schon eine ausgesprochen spannende Zeit, in der ich mich gerade befinde.

Was haben Sie denn heute den lieben langen Tag gemacht?

Frings Was ich heute gemacht habe? Ich habe ganz viel gebetet. Das fängt ja hier frühmorgens an.

Was heißt das konkret?

Frings Gemeinschaftlich beginnen wir 6.15 Uhr am Morgen. Manche beten aber auch schon früher. 7.30 Uhr beten wir das zweite Mal und um 9.30 Uhr ist dann die Heilige Messe. Und um 12.15 Uhr wird ein viertes Mal gebetet. Damit ist der Vormittag schon ziemlich ausgefüllt.

Vor knapp einem Jahr haben Sie ihr Amt als Gemeindepfarrer niedergelegt. Was ist in dieser Zeit für Sie anders geworden?

Frings Ich habe früher mit Begeisterung gepredigt, den Glauben ausgelegt. Das ist hier in der geistlichen Gemeinschaft vollständig weggefallen. Ich bin im Kloster ein viel stärker Hörender geworden.

Ist ein Hörender auch stärker ein Lernender als ein Lehrender?

Frings Das ist zu hoffen, dass ich ein Lernender geworden oder auch geblieben bin. Wobei ich in meiner Predigerausbildung gelernt habe: Man predigt immer auch sich selbst. Zum einen, indem man von sich erzählt; zum anderen ist es hilfreich, seine Predigt daraufhin abzuklopfen, warum man dies und jenes sagt, was sagt das über mich. Man kann also in beiden Fällen durchaus ein Lernender sein.

Haben Sie Ihren Rückzug aus der Gemeinde als eine persönliche Niederlage empfunden - oder gab es ein Gefühl der Befreiung?

Frings Nein, eine Befreiung war es wohl nicht. Ich war mit Leidenschaft Pfarrer; auch in der Gemeinde. Und als eine Niederlage habe ich meinen Weggang auch nicht empfunden. Schließlich habe ich Gründe für meinen Weggang aufgezählt, die letztlich nicht in meiner Hand lagen.

Welche waren das?

Frings Der Hauptgrund war, dass es einfach an Zukunftsperspektive fehlte. Ich wusste, ich kann mich noch so anstrengen, aber nach mir wird es keinen Nachfolger mehr geben. Meine erste Gemeinde ist fusioniert worden, meine zweite auch; und die dritte, in die ich kam, war schon fusioniert. Dass es dort allen Berechnungen nach keinen Nachfolger für mich geben wird, war in hohem Maße demotivierend. Natürlich hätte ich noch zehn Jahre so weitermachen können. Doch auf Dauer konnte ich es einfach nicht mehr.

Als Sie sich zu diesem Schritt entschlossen haben, haben Sie davor auch Gott um Rat befragt?

Frings Ich habe in Exerzitien eine Rückschau auf meine damals 30 Dienstjahre gehalten - mit dem Ergebnis: Ich tue es gerne und mit unheimlich viel Freude, was ich da mache. Aber ich gestalte immer nur einen Rückzug und einen Abbau weiter. Mir fehlt ein ermutigendes Nach-vorne-gehen.

Wobei Sie ja nicht kontraproduktiv agieren, sondern Vorschläge bringen, etwa mit dem Modell der Entscheidungsgemeinde.

Frings Ich habe mich gefragt: Wie könnten Probleme, die ich habe, in eine Gemeindeform überführt werden, in der sie eine Lösung finden. Eine sogenannte Entscheidungsgemeinde definiert sich durch zwei Aspekte: Die Getauften sind für die Gemeinde stärker verantwortlich als der Priester. Das andere ist: Die Gemeinde reagiert mit Zuspruch und Anspruch; mit Zuspruch unbegrenzt nach außen, in die Welt hinein, wobei selbst Ungetaufte Mitglied der Gemeinde sein können. Und mit wachsendem Anspruch nach Innen, das heißt, je mehr ich mich auf ein Leben mit dem Evangelium einlasse, desto mehr trifft mich der Anspruch desselben.

Was ist der Unterschied zur bisherigen Gemeindeform?

Frings Bei der gewohnten Territorialgemeinde ist das so: Alle werden beispielsweise im dritten Schuljahr angeschrieben zur Kommunionsvorbereitung. Ein Jahr tun wir so, als seien wir Volkskirche, und wir bereiten auf etwas vor, das 80 bis 90 Prozent der Familien weder vorher noch nachher im Leben praktizieren. Die Entscheidungsgemeinde arbeitet nicht mehr nach dem Modell Volkskirche; aber sie arbeitet wie ein Volk am Modell Kirche.

In Ihrem Buch habe ich auch den Satz gelesen: Wir bedienen zu viel Tradition und wecken zu wenig Sehnsucht. Wie geht das?

Frings Volkskirche bedient Traditionen. Wir sind aber keine Volkskirche mehr. Darum führen diese Traditionen nicht mehr zu einer Praxis; sie finden bei den Menschen kaum noch Widerhall. In der Entscheidungsgemeinde bekommen die Menschen eben nicht mehr das, was ihnen traditionell zusteht. Aber für jeden gibt es etwas, das statt der Tradition dem Leben der Menschen dient.

Was hätte Ihr Großonkel. Kardinal Frings, zu Ihrer Entscheidung gesagt?

Frings Sie können nicht von mir erwarten, dass ich antworte: alles Blödsinn. Aber ich kann mit einem Punkt aus seinem Leben belegen, dass er vielleicht positiv auf meine Entscheidung reagiert hätte. Er selber hat in seinem Leben eine enorme Wandlung durchgemacht. Er begann als konservativer Bischof mit fürstlichem Auftreten; dann aber hat er hat sich zum Volksbischof entwickelt. Darum vermute ich, dass er verständnisvoll reagiert hätte.

(los)
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