Köln Mensch Grönemeyer

Köln · Deutschlands Lieblingssänger lud gestern zum Kaffeeklatsch. Eine gute Gelegenheit, den Menschen Grönemeyer kennenzulernen.

Als Herbert Grönemeyer den Raum betritt, hält er mit der linken Hand eine Tasse Kaffee, und mit der rechten zupft er seinen schwarzen Wollpulli zurecht, der an Brust und Bauch zu eng und am Rücken zu kurz ist. Er lässt sich in einen Stuhl fallen, schaut auf die Versammelten und ruft: "Is dat schön!".

Deutschlands Lieblingssänger hat in das Hyatt-Hotel in Köln geladen, um über die anstehende Open-Air-Tournee zu reden. Nur eine Handvoll Journalisten, keine Fotografen. Kaffeekränzchen also, bisschen plauschen, und als man Grönemeyer da sitzen sieht, fragt man sich, ob das nicht eine Chance ist, den Menschen hinter der Kunstfigur kennenzulernen oder ihm doch zumindest auf die Spur zu kommen. Seine Texte haben ja schon lange keine Bierfahne mehr, sie riechen auch nicht mehr nach Imbissbude. Grönemeyer befindet sich in seiner Lyrik längst auf dem Weg nach innen, er ist 59 Jahre alt und nachdenklicher als früher. Aber in der Öffentlichkeit redet er mitunter, wie ein kinderloser Endvierziger mit den halbwüchsigen Töchtern seines Bruders redet. Niedlich beflissen, krachledern humoristisch. Als wolle er etwas zwischen sich und die Welt schieben, von sich ablenken.

Ängstigen ihn die Terroranschläge in Paris? Er macht ein Geräusch wie ein Luftballon, dem die Luft ausgeht. Seine Stimme wird leise, der Tonfall sanfter. "Man schnallt diese Gewalt ja gar nicht", sagt er. Er sucht nach Worten. Und dann sagt er, dass das alles so unfassbar traurig sei, und jeder, der selbst schon einen Menschen verloren habe, werde durch Paris sogleich wieder daran erinnert. Alle wissen natürlich, dass er den Verlust seiner Frau Anna meint, der er das Lied "Der Weg" gewidmet hat. Grönemeyer spielt am Armband seiner Uhr, er sitzt krumm, aber sogleich richtet er sich wieder auf. Er versuche immer, das Positive im Schlimmen zu sehen, sagt er mit Nachdruck. Und deshalb hoffe er, dass seine Landsleute nun begriffen, warum so viele Flüchtlinge herkommen, warum sie ihre Heimat verlassen: "Weil es dort so brutal zugeht."

Grönemeyer werden an diesem Nachmittag Fragen gestellt, die man besser an die Kanzlerin richtet - Rechtsradikale kommen vor und das Kriegstribunal in Den Haag. Aber so ist das, er ist der Bundes-Herbie. Seine Platten, die seit 30 Jahren immer Platz eins der Charts erreichen, vertonen die Sozialgeschichte der BRD. Um eine Antwort ist er ja auch selten verlegen, er stellt sich, auch wenn Vages dabei herauskommt: "Die Gesellschaft kann an diesem Thema reifen" - so etwas.

Er betreibt ein erfolgreiches Label, Grönland Records. Sucht er die Künstler selbst aus? Grönemeyer schiebt die Hände zwischen die Oberschenkel. Er schwärmt vom Erfolg seiner Schützlinge BOY, Philipp Poisel und Philipp Dittberner. Da sei er aber nur der Frühstücksdirektor. "Ich selbst kümmere mich vor allem um die alten Sachen." Grönland verlegt auch die 70er-Jahre-Krautrocker Neu! und Harmonia, das sei seine Musik. "Ich bin ein Kind der BRD", sagt er, "und früher hat mich immer Musik umgeben, überall." Dieses Gefühl von damals, dass immer Musik da ist, wolle er mit seinem Label konservieren.

Grönemeyer ist der Grund, warum fast jeder, der älter ist als 40, die alte Postleitzahl von Bochum kennt, obwohl man vielleicht nie einen Brief dahin geschickt hat. "4630 Bochum" machte Grönemeyer 1984 zum Mittelschichtsflüsterer, zum Sänger der Doppelhaushälften, zum Orakel der Deutschen. Seine Lieder sind seither Synonym für das Durchschnittsverständnis der Welt. Inzwischen hat er jene Phase des "elder entertainer" erreicht, in der ein Star einfach nur da sein muss. Es ist nahezu egal, was er vorlegt - oder kann irgendwer auf die Schnelle den Titel der aktuellen Grönemeyer-Single nennen? Hauptsache, er meldet sich ab und an und geht auf Tournee. Er wird geliebt wie ein Familienmitglied. "Ich möchte gemocht werden", bestätigt Grönemeyer. Und danach lacht er nicht dieses kehlige, schnalzende "Ha, Ha, Ha"-Lachen. Er schweigt und nickt.

Er könne nicht bewusst über ein bestimmtes Thema schreiben, sagt er, es müsse aus ihm herausfließen, und was da komme, sei halt immer das, was ihn gerade beschäftige. Warum er in London wohne, wird er gefragt. Ach, sagt er, als damals diese Zeit kam, und all das passiert ist, da sei es gut gewesen, dass er und die Kinder nicht in Deutschland waren. Wieder meint er den Verlust der Ehefrau 1998, und als man ihn nun anspricht auf die Geschichte aus dem vergangenen Jahr, auf den Zwischenfall am Flughafen Köln/Bonn, wird er energisch.

Grönemeyer wurde damals vorgeworfen, er hätte Fotografen angegriffen, die ihm zu nahe kamen. Dagegen wehrt er sich bis heute juristisch. Die Fotografen hätten seiner Freundin und seinem Sohn die Linse ins Gesicht gehalten, erzählt er. Die Familie habe zu Grönemeyers Mutter gewollt, es war der vierte Advent, und dann seien sie regelrecht abgeschossen worden. "Das geht nicht", sagt Grönemeyer, "Irrsinn", "widerrechtlich". Wenn jemand ein Foto von ihm machen wolle, gerne, aber doch nicht so und dann noch von seiner Familie. Das sei ihm wichtig klarzustellen, und deshalb kämpft er um die richtige Einordnung dieser Sache. Er atmet aus. Sorry, jetzt ereifere er sich wieder.

Grönemeyers Ellenbogen ruhen auf den Armstützen. Vielleicht ist das Projektion, aber sein Gesicht sieht in diesem Moment anders aus als sonst. Weicher, ehrlicher.

Der Mensch Grönemeyer ist bestimmt ein feiner Kerl. Man würde ihn gern öfter treffen.

(hols)
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