Leipzig "Menschen können nicht illegal sein"

Leipzig · Sie ist die Hoffnungsträgerin der deutschsprachigen Literatur: Sharon Dodua Otoo. Für die 44-jährige Britin, die in London geboren wurde und in Berlin lebt, hat sich nach ihrem Sieg beim Bachmann-Wettbewerb manches geändert.

 Sharon Dodua Otoo

Sharon Dodua Otoo

Foto: dpa

Sie lacht sehr herzlich und vielleicht darum auch ziemlich oft. Am meisten, so scheint es, freut sie sich auf die Zukunft. Sharon Dodua Otoo ist ein im besten Sinne unbekümmerter Mensch und darf mit dieser Hoffnungsliebe unter den deutschsprachigen Autoren der Gegenwart wenigstens als eine Exotin gelten. Wer ihr dann gegenübersitzt, wird das Gefühl nicht los, dass zumindest der ungewöhnliche Titel ihres Novellen-Bandes sehr viel auch mit ihr zu tun hat: "die dinge, die ich denke, während ich höflich lächle . . ."

Dass ihr derzeit viel beachtetes Debüt in Wahrheit schon ziemlich alt ist, gehört vermutlich auch in die Reihe der Skurrilitäten. Schon vor fünf Jahren ist es in der sehr kleinen Münsteraner "edition assemblage" erschienen, für die die beiden Novellen damals extra aus dem Englischen übersetzt werden mussten. Dann aber gab es im vergangenen Jahr die Einladung nach Klagenfurt. Dorthin ist sie so unverdrossen neugierig gefahren, wie sie manches in ihrem Leben angeht. "Ich war ein Nobody, Deutsch war nicht meine erste Sprache, ich kannte niemanden, und mein Verlag war winzig. Eigentlich hatte ich nichts zu verlieren", sagt sie und lacht.

Sharon Dodua Otoo hat nicht nur nichts verloren, sondern auch alles gewonnen: Zur Überraschung aller obsiegte sie beim wichtigsten Nachwuchspreis der Literatur, dem Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Und das mit einer Geschichte über den pensionierten Raketeningenieur Gröttrup. Der muss sich am Frühstückstisch eine Auseinandersetzung mit einem Ei liefern, das sich partout weigert, hart und deutsch zu werden. Erst in Klagenfurt habe sie gemerkt, wie stark ihre Literatur aus dem üblichen Raster herausfällt, sagt Dodua Otoo - und lacht mal wieder.

Seit Klagenfurt ist für die 44-Jährige manches anders geworden. Der Frankfurter S. Fischer Verlag hat die in Berlin lebende Britin mit ghanaischen Wurzeln gleich unter Vertrag genommen und ihren Debütband neu herausgebracht. Ein literarischer Appetizer für weiteres. Als der Verlag von ihr als nächstes einen Roman wünschte, habe sie nur große Augen gemacht. Die nächste Bitte der Frankfurter Büchermacher war dann nur noch eine Zugabe: Gut 500 Seiten solle sie am liebsten schreiben. Für Sharon Dodua Otoo, die sich selbst einen ungeduldigen Menschen nennt, war dieser Umfang derart unvorstellbar, dass sie entschied: "Das mache ich jetzt."

Überhaupt hat sie schon sehr viel gemacht: Sie hat Deutsch am Royal College der Universität von London studiert; sie schreibt Kommentare und Feuilletons über Politik und Feminismus; sie gehörte unter anderem dem Vorstand der "Initiative Schwarze Menschen in Deutschland" an.

Sie ist Aktivistin und Berufsautorin, und oft beides zusammen. So greift sie in ihren Texten auch zum sogenannten Gender-Gap. Das ist eine Schreibweise mit Unterstrich (etwa Mitarbeiter_innen), die die sprachliche Zweiteilung von Mann und Frau aufbrechen und weiteren Identitäten Raum geben soll. Bloß ein Manierismus? Eine Albernheit? Oder ein Bekenntnis? Nein, nein, nichts von all dem, sagt sie und lacht, das ist ein Angebot; mehr nicht, aber auch nicht weniger.

Sharon Dodua Otoo ist zudem Mutter von vier Söhnen - wie auch die schwarze Ich-Erzählerin ihres Debüts. Die ist verstrickt im Kampf mit dem Alltag, lebt als Alleinerziehende permanent am Leistungslimit. So etwas muss authentisch geschildert werden, sagt sie. "Die Geschichte braucht eine Autorin, die das auch erlebt hat." Ihre Novelle ist keine Autobiografie, doch ihr Denken und ihr Erleben sind natürlich der Nährboden, aus dem die Geschichte gewachsen ist. Dazu gehören dann auch solche Erfahrungen: "Ich bin als einziges schwarzes Mädchen in einem Vorort von London aufgewachsen, wo ich früh gelernt habe, dass Ärger vermieden werden konnte, wenn ich mich weiß benahm." Und als am abendlichen Küchentisch plötzlich von illegalen Einwanderern die Rede ist, wird der Satz fallen: "Menschen können nicht illegal sein."

So unbefangen Sharon Dodua Otoo und so schnell, witzig und immer auch menschenfreundlich ihre Prosa auch ist - der literarische Erfolg beginnt, erste Spuren zu hinterlassen. Was sonst? Sie ist jetzt nicht mehr die Newcomerin und Debütantin. Seit Klagenfurt stehen die hohen Erwartungen praktisch reihenweise vor ihrem Schreibtisch und harren der Erfüllung. Dass sie inzwischen vom Schreiben leben kann, nennt sie ein Glück. Dass damit auch der Druck zugenommen hat, beobachtet sie momentan noch neugierig.

Ihr erster Roman soll für sie auch in anderer Hinsicht ein Novum werden: die erste Geschichte, die sie in deutscher Sprache schreiben will. Deutsch kam bei ihr früher vor allem in prekären Situationen zum Einsatz. Damals in London, wenn es mit ihrem deutschen Lebensgefährten brenzlig wurde, wechselten beide vom Englischen ins Deutsche. Warum? "Die deutsche Sprache ist einfach sehr eindeutig."

(los)
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