Leipzig Messe hält Meinungsfreiheit hoch

Leipzig · In Leipzig sollen uns Bücher den richtigen Weg ins 21. Jahrhundert weisen.

Die Buchmesse zu Leipzig hat mit einer Protest-Choreografie begonnen. Ausgerechnet im feinen Gewandhaus bekundeten auf der gestrigen Eröffnungseifer 2000 Festgäste auf großen Plakaten, wie wichtig Wort und Freiheit sind. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hatte die Bekenntnistafeln zuvor auf alle Plätze verteilt. Das Engagement beschränkte sich demnach aufs Hochhalten.

Solche mediengerechten Aktionen erscheinen im Umfeld einer Buchmesse mit über 3200 Veranstaltungen an 410 Leseorten eher überflüssig; wohl nicht aber für viele Länder dieser Welt. Vielmehr sind Meinungs- und Publikationsfreiheit mehr und mehr bedroht, werden Autoren gefoltert und zum Tode verurteilt, Verleger verschleppt und schikaniert. Das elementare Recht der Meinungsfreiheit ist nicht nur in Syrien, Saudi-Arabien, Katar, China und Ägypten bedroht, sondern auch in der Türkei, in Polen und Ungarn, so am Vormittag Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins.

Wie schwierig Meinungsfreiheit aber manchmal sein kann, müssen die Leipziger auf der eigenen Buchmesse erfahren und vertragen. Denn mit dem nicht kleinen Stand des Compact-Magazins - ein rechtspopulistischer Verlag mit Nähe zu AfD und der Legida-Bewegung - sind in Halle 5 Publizisten und Werke vertreten, die der Buchbranche gleichermaßen unliebsam wie unheimlich sind. "Mut zur Wahrheit" ist in fetten Buchstaben über dem Messestand zu lesen. Darunter: "Magazin für Souveränität".

Leipzig ist - im Gegensatz zum größeren Ableger in Frankfurt - trotz der 2250 Aussteller nie eine richtige Geschäftsmesse gewesen. Und so müht man sich seit Jahren um Inhalte: mit Lesungen, Foren, Bildungskonferenzen. Das hat in diesem Jahr zur Folge, dass von Literatur vermutlich nicht so viel die Rede sein wird, von Politik und Gesellschaftsdiskursen dafür umso mehr. Mit viel Unterstützung von der Robert-Bosch-Stiftung soll jetzt ein "Denk-Raum" entstehen, der sich "Europa21", also unserer Zukunft, intensiv annimmt. Natürlich geht es dabei vor allem um Flucht und Flüchtlinge. Doch habe nicht erst diese Debatte die Frage nach dem europäischen Weg aufgeworfen, sondern allenfalls verschärft.

Die Buchmesse wird und will keine Politik ersetzen. Doch mit etwas Glück könnte in der Stadt der friedlichen Revolution dann doch etwas gelingen, was in diesen aufgeregten Tagen nahezu unmöglich erscheint: in einer Welt im Krisenmodus den Kopf hoch- und die Gedanken beisammenzuhalten, wie es sich Messe-Chef Oliver Zille erhofft.

Am Abend gab es jedenfalls dazu schon einen geistreichen Prolog; eine deutsche Standortbestimmung nämlich. Im Gewandhaus wurde der Berliner Historiker Heinrich August Winkler mit dem Buchpreis zur Europäischen Verständigung geehrt. Der 77-Jährige mahnte eine "nachhaltige Asylpolitik" an, die nicht allein die Grenzen der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit im Blick hat, sondern eben auch den Rückhalt in der Bevölkerung.

(los)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort