Milliarden für neue Stromleitungen

Der Ausbau der Windkraft und der Photovoltaik macht auch ein neues Stromnetz erforderlich. Alleine dafür spricht die Deutsche Energie-Agentur von 3600 Kilometer neuer Leitungen und Kosten in Höhe von 9,7 Milliarden Euro. Und noch kann keiner sagen, wie groß der Ausbaubedarf in den kleineren, regionalen Netzen sein wird.

Die Würfel sind gefallen: Deutschland wagt in einer Rekordzeit von etwas mehr als zehn Jahren den Umbau der Energielandschaft. Und daran muss sich auch das Stromnetz anpassen. Und zwar möglichst schnell.

Wie ist das Stromnetz aufgebaut?

Wenn man die Waschmaschine, den Computer oder LED-Fernseher an die Steckdose anschließt, kommt der Strom nicht direkt vom Kraftwerk. Vielmehr sind leistungsstarke Kohle- und Gas-Anlagen oder Windparks an das Höchstspannungsnetz angeschlossen, das mit Spannungen von 220 000 und 380 000 Volt Strom über weite Entfernungen transportieren kann. Die grobe Verteilung dagegen erfolgt über das Hochspannungsnetz (60 000 und 110 000 Volt). Daran schließt sich das Mittelspannungsnetz an, das mit 3000 bis 30 000 Volt den Strom regional transportiert. In den Städten selbst sorgt dann das Niederspannungsnetz für den gewohnten Strom mit 230 Volt oder 400 Volt aus der Steckdose. Für den Anschluss zwischen den einzelnen Ebenen sorgen Transformatoren und Umspannungswerke.

Warum gibt es die verschiedenen Spannungsebenen?

Damit möchte man die sogenannten Ohmschen Verluste gering halten: Die übertragene Leistung hängt von der Stromstärke und der Spannung ab. Je höher die Spannung ist, desto kleiner ist die Stromstärke. Und je kleiner die Stromstärke ist, desto geringer sind die Verluste über eine Erwärmung der Leitung. Allerdings sind hohe Spannungen zu gefährlich und wenig dazu geeignet, Strom aus der Steckdose zu liefern. Im Stadtnetz gilt darum für Haushalte 230 Volt.

Wie lang ist das Stromnetz?

Insgesamt erreicht das Stromnetz in Deutschland eine Länge von etwa 1,78 Millionen Kilometer. Das Höchstspannungsnetz hat dabei eine Länge von 35 708 Kilometer, das Hochspannungsnetz von 76 279 Kilometer, die Mittelspannungsebene von 507 210 Kilometer und das Niederspannungsnetz von 1,16 Millionen Kilometer.

Und das reicht für die Energiewende nicht aus?

Die Bundesregierung will den Anteil der Erneuerbaren Energien an der deutschen Stromerzeugung bis 2020 auf mindestens 35 Prozent erhöhen. Das bedeutet aber auch, dass bis 2020 rund 10 000 Megawatt Leistung in sogenannten Offshore-Windparks installiert werden – also in der Nord- und Ostsee. Diese Anlagen müssen aber erst einmal gebaut werden. Schon jetzt wird sehr viel Windkraft in Niedersachsen und Brandenburg erzeugt – also im Norden und Nordosten. Diese Strommengen müssen irgendwie auch den Rest Deutschlands erreichen – ebenso wie Strom aus Photovoltaik-Anlagen im Süden. Dafür muss das Höchstspannungsnetz ausgebaut werden. Denn das ist bislang vor allem an die bestehenden Großkraftwerke angepasst.

Die Deutsche Energie-Agentur Dena geht davon aus, dass 3600 Kilometer neuer Leitungen benötigt werden – für 9,7 Milliarden Euro. Ein Mammutprojekt für die Netzbetreiber. Denn 2005, also lange vor der Energiewende, hatte die Dena bereits einen Ausbaubedarf des Höchstspannungsnetzes von 850 Kilometern bis 2015 festgestellt. Davon sind laut Dena erst 90 Kilometer installiert worden. "Das Netz darf nicht zum Flaschenhals der Energiewende werden", sagte der Vorsitzende der Dena-Geschäftsführung, Stephan Kohler, bei einem Expertengespräch. "Wind- und Solarstrom nutzt nichts, wenn wir ihn nicht dorthin transportieren können, wo er gebraucht wird oder gespeichert werden kann." Und wenn in verbrauchsstarken Regionen die Atomkraftwerke vom Netz gingen, müsse jederzeit ausreichend Strom angeliefert werden können.

Die 3600 Kilometer reichen für die Energiewende aus?

Nein, denn das ist nur der Ausbaubedarf, um die Stromerzeugung aus dem Norden, Nordosten und Süden anzubinden. Dazu kommen noch die Verteilnetze auf den unteren Ebenen. Je mehr sich die regionalen Unternehmen über moderne Gas-Kraftwerke, kleine Windparks, Biogas- und Photovoltaik-Anlagen als Stromerzeuger einbringen, desto größer wird der Ausbaubedarf auch in den "kleineren Netzen".

Wie hoch wäre der Ausbaubedarf in den kleineren Netzen?

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft hat im März ein Gutachten vorgestellt, dass unter anderem von der Technischen Hochschule Aachen erstellt wurde. Je nach Ausbau der Erneuerbaren Energien und dem Grad der Dezentralisierung der Stromerzeugung werden im Mittel- und Niederspannungsnetz etwa 200 000 bis 380 000 Kilometer neuer Leitungen benötigt – mit einem Investitionsvolumen zwischen minimal zehn und maximal 27 Milliarden Euro.

Ist die Energiewende der einzige Grund für den Ausbau?

Nicht ganz: Laut der Agentur für Erneuerbare Energie ist das deutsche Stromnetz "in die Jahre gekommen". Nach Angaben der Bundesnetzagentur lag das Durchschnittsalter der Höchstspannungsmasten Anfang 2008 zwischen 32 Jahren (380 000 Volt) und 50 Jahren (220 000 Volt). Manche der Masten waren sogar zwischen 70 und 85 Jahre alt.

Muss nur Deutschland sein Netz ausbauen?

Die Frage nach den neuen Stromspeichern ist bislang ungeklärt, aber in einem europäischen Netz könnte die Lösung stecken, ist Christoph Kail. Energietechnik-Professor an der Fachhochschule Südwestfalen, überzeugt. Wenn bei uns Flaute herrscht, produzieren vielleicht die Solaranlagen in Spanien zu viel Strom. So könnten Über- und Unterkapazitäten auf europäischer Ebene ausgeglichen werden. Zumindest halbwegs. Doch dafür müssten auf EU-Ebene die Rahmenbedingungen geschaffen werden. Die Agentur für Erneuerbare Energien kritisiert, dass es bis heute zwischen den jeweiligen nationalen Stromnetzen nur sehr schwache Verbindungen gibt. Doch selbst in Deutschland ist bislang das Netz eine Länderangelegenheit. Nach dem Ausbau-Beschleunigungsgesetz soll aber der Ausbau bei der Bundesnetzagentur angesiedelt sein – was wie in NRW auf Kritik der Länder stößt.

Was bedeutet das für uns?

Welche Lösung für die Netze und Stromspeicher kommen mag: "Es wird teuer", ist Kail sicher. Durch den schnellen Ausstieg aus der Kernkraft bleibe wenig Zeit, Schritt für Schritt mit überschaubaren Kosten zu planen und zu bauen. Vielmehr müsse sehr schnell gehandelt werden. Und dafür "muss eine Menge Geld in die Hand genommen werden".

(RP)
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