Mozarts tolle Unberechenbarkeit

Zwei Neuaufnahmen der Klaviersonaten kommen zu interessanten Befunden.

Wie kann das sein? Vor einigen Wochen geisterte durch die Internet-Plattformen die Ankündigung einer Neueinspielung von Mozarts Klaviersonaten, diesen heiklen Kleinodien, die von Pianisten gern aus (Ehr-)Furcht gemieden werden. Name des Interpreten: Roberto Prosseda. Einige Hör-Häppchen gab's im Netz zum Anklicken. Ersteindruck: Wie bitte?

Erkundigungen bei der deutschen Zentrale des Labels ergaben ein eher desinteressiertes "Nöö". Die Aufnahme sei eigentlich für den italienischen Markt, kein Interesse. Wenig später aber tauchten die ersten, hymnischen Rezensionen auf. Wo hatten die Kollegen nur ihre CDs her? Die waren doch nicht alle in Italien?! Nach einigem Suchen fand sich die zuständige Agentur in Berlin. Dort hatte man längst erkannt, dass diese Aufnahmen Schätze sind, und bohrte so lange, bis sie schließlich auch dem deutschen Markt zugeführt werden konnten.

Roberto Prosseda, der bereits einen kompletten Zyklus mit Mendelssohns Klavierwerken aufgenommen hat (der ebenfalls nur in Italien uneingeschränkt zugänglich ist), spielt seinen Mozart auf einem modernen Flügel aus dem Hause Fazioli, der jedoch historisch temperiert, also ungleich schwebend gestimmt wurde. So ergeben sich Klangfarben, die man eher erahnt als erkennt, die jedoch diesen Werken ein eigenes Kolorit verleihen.

Prosseda präsentiert uns in einem ersten Doppel-Album die sechs Sonaten KV 279 bis 284. Folge zwei ist in Planung, und es steht zu hoffen, dass man bis dahin auch beim deutschen Vertriebspartner Decca weiß, welch herausragende Edition hier entsteht.

Einen solchen Mozart hat es lange nicht mehr gegeben: quirlig, spielfreudig, kultiviert, elegant, unberechenbar, variabel im Anschlag, raffiniert in den dramatischen Zuspitzungen - lauter Kriterien, mit denen zuletzt Krystian Bezuidenhout seinen famosen Mozart-Zyklus ausstattete; doch der spielte auf historischen Fortepianos, die nun mal immer noch nicht jedermanns Freude sind. Roberto Prosseda aber überträgt all die Ideen historisch informierten Spiels auf seinen Flügel. Und wie!

Zum Vergleich lässt sich die neue Gesamt-Edition von Mozarts Sonaten mit dem türkischen Pianisten Fazil Say heranziehen. Say macht diese Sonaten zu eigenen, kleinen Geschichten, die er am Flügel in Töne und im Beiheft in Worte kleidet. Auch das ist ein Mozart, mit dem sich gut leben lässt, der gesanglich und teils von den großen Opern inspiriert wirkt. Doch wenn man allein den Kopfsatz der F-Dur-Sonate KV 280 zum Vergleich heranzieht, so ist Say ein rundum stimmiges, empfindsames, fantasiereiches Ergebnis gelungen, Prosseda dagegen ein packendes, auch weil das Klangbild um einiges präsenter und räumlicher ist.

Info Mozart, Klaviersonaten Nr. 1-6; Roberto Prosseda; Decca zwei CDs 481 2622 / Mozart, Sämtliche Klaviersonaten; Fazil Say; Warner sechs CDs 0825646942060

(RP)
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