Musik 2016 Das Jahr der Abschiede

Düsseldorf · 2016 war sicher kein Lieblingsjahr. Mit Prince, Leonard Cohen, David Bowie und George Michael traten gleich vier Große für immer ab – ein Rückblick.

 David Bowie ist zwar tot, seine Songs aber werden nie verglühen.

David Bowie ist zwar tot, seine Songs aber werden nie verglühen.

Foto: dpa, am cv

2016 war sicher kein Lieblingsjahr. Mit Prince, Leonard Cohen, David Bowie und George Michael traten gleich vier Große für immer ab — ein Rückblick.

Beim Blick auf ein solches Jahr ist es notwendig, zuerst auf das zu schauen, was verloren ging. Wer verloren ging. Zwei Tage nach Veröffentlichung seines 25. Albums starb David Bowie. "Blackstar" hieß es, erloschener Stern, und erzählte vom Sterben eines Mannes, der sein Leben mit dem Erfinden dutzender Leben verbracht hatte. Im Video zu "Lazarus" lag Bowie im Leichenschauhaus, auf den Augen schon die Geldstücke für den Fährmann.

Keine hundert Tage später starb Prince. Wie Bowie war er einer, der sich keinen Deut um Erwartungen scherte, der in Musik und Inszenierung ein eigenes Universum erschuf. Ein halbes Jahr danach ging Leonard Cohen. Kurz zuvor war sein Album "You Want It Darker" erschienen, das, natürlich, vom bevorstehenden Ende erzählte.

Und dann starb, was für eine bittere Pointe, ausgerechnet der Mann an Weihnachten, der mit dem Song "Last Christmas" berühmt geworden war — George Michael.

Einer, der den Mythos der modernen Musik mitbegründet hat, erfuhr hingegen höchste Weihen. Bob Dylan erhielt den Literaturnobelpreis für Texte, mit denen er ein ganzes Jahrzehnt prägte. Gewohnt störrisch reagierte Dylan auf die Ehrung, nämlich erst mal gar nicht und anschließend, indem er zur Verleihung eine andere Ikone nach Stockholm schickte - Patti Smith.

Zu schreiben, dass 2016 ein politisches Jahr war, wäre eine maximale Untertreibung. Die Zeitenwende machte für viele Musiker eine Positionierung notwendig. Katy Perry, Lady Gaga und Bon Jovi traten für Hillary Clinton auf, bei der Aktion "30 Days, 30 Songs" sangen Bands wie REM für ein Trump-freies Amerika. Einer der wenigen Trump-Unterstützer war Kid Rock, der mit Shirts wie "God, Guns & Trump" für den Milliardär warb.

Die musikalisch eindringlichsten Kommentare zur Gegenwart kamen mehrheitlich von Künstlerinnen. M.I.A. ließ in ihrem "Borders"-Video Geflüchtete einen Stacheldrahtzaun erklettern. Anohni sang über Drohnenkriege, PJ Harvey von einem Sozialprojekt in Washington, die Britin Kate Tempest textete wortgewaltig über das auseinanderdriftende Europa. Für zwei gewaltige Ausrufezeichen sorgten die Knowles-Schwestern. Solange und Beyoncé machten auf ihren Alben Feminismus, Black Live Matters und die amerikanische Bürgerrechtsbewegung zu ihren Themen.

Megalomanisch ging Kanye West ab. Sein Album "The Life of Pablo" präsentierte er vor 20.000 Gästen im Madison Square Garden und übertrug das Spektakel zeitgleich in 700 Kinos. Dazu ließ er nackte, lebensecht wirkende Silikonpuppen von sich, seiner Frau Kim Kardashian, Bill Cosby, Rihanna und anderen anfertigen. Auf seinen Konzerten machte er keine Musik mehr, sondern legte dem erbosten Publikum in zwanzigminütigen Monologen dar, warum er Trump wählen würde, wenn er denn wählen würde. Danach ließ sich West in eine Klinik einweisen. Vielleicht war Abdrehen eine der wenigen angemessenen Reaktionen auf das Jahr 2016.

Die meisten CDs verkaufte übrigens ein gewisser Wolfgang Amadeus Mozart. Zumindest wenn man wie die Billboard Charts jede CD seiner 200er Box einzeln zählte. Ansonsten war Drake mit "Views" sehr erfolgreich und wurde mehr als eine Milliarde Mal gestreamt. Unbeliebt machte sich der Millionär Martin Shkreli, der für fünf Millionen Dollar das einzige Exemplar des Wu-Tang-Clan-Albums "Once Upon A Time In Shaolin" gekauft hatte und nun drohte, es unwiderruflich zu zerstören. Wesentlich beliebter war da das Carpool Karaoke von Late-Night-Moderator James Corden. Der fuhr gutgelaunt mit Stars wie Adele, Madonna, Stevie Wonder oder den Red Hot Chilli Peppers im Auto durch Los Angeles und sang mit ihnen.

In Deutschland stießen zwei andere Rückkehrer auf großes Interesse. Einmal lieferte Udo Lindenberg ein respektables Alterswerk ab, das von Ziehsohn Benjamin von Stuckrad-Barre und dessen erfolgreichem Roman "Panikherz" flankiert wurde. Zudem kam nach 13 Jahren Neues von den Beginnern. Auf deren "Ahnma" konnten sich in diesem Jahr viele einigen. Ansonsten machte deutscher Rap gewohnt vielfältig weiter: Hoch in die Charts ging es für so unterschiedliche Interpreten wie Prinz Pi, Fler, Maeckes oder Ssio. Die 257ers landeten mit "Holz" einen Hit, den Wigald Boning und Olli Dittrich nicht besser zustande gebracht hätten.

In Hamburg brannte der legendäre Golden Pudel Club ab und beendete damit eine musikalische Ära, während in Berlin erstmals der Preis für Popkultur als Gegenpol zum allein durch Verkäufe bestimmten Echo verliehen wurde.

Preise und Auszeichnungen aber wirkten in diesem so vieles in Frage stellenden Jahr deplatziert. Was davon bleiben wird: Nick Caves herzzerreißende Oden an seinen verstorbenen Sohn, Metallicas Doppelalbum, Bon Ivers Klagegesänge auf "22, A Million", Bowies Todesjazz, Beyoncés Popmanifest "Lemonade" - im postfaktischen Zeitalter ist bekanntlich alles relativ. Auch dieser Rückblick.

(RP)
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