Adeles neues Album "25" So jung und schon so traurig

Düsseldorf · Der britische Superstar Adele ist nach jahrelanger Abwesenheit zurück. Das neue Album heißt "25" und ist gelungen.

 Wieder da: Adele.

Wieder da: Adele.

Foto: dpa, hjb sab

Auf dieser Platte ist das schönste Lied der Welt, es heißt "Million Years Ago", und zu hören sind da zunächst nur Adele und eine akustische Gitarre. Die 27-Jährige breitet ihre Seele vor dem Hörer aus, sie singt vom Älterwerden und Kinderhaben und davon, wie bescheuert es ist, plötzlich so wehmütig zu sein und sehnsüchtig. Das Leben rausche vorbei, klagt sie, und sie könne nur dasitzen und zusehen und der Gegenwart hinterherblicken. Melancholische Meerjungfrauen schleichen sich von hinten heran und bilden einen Chor. "Mmmh, mmh", summen sie, und Adele fragt waidwund und mit geschlossenen Augen, ob sie denn nun eine von denen geworden sei, die nie werden wollten wie sie sind. Aber das ist sie natürlich nicht, nie und nimmer, außerdem ist sie ja auch erst 27 Jahre alt. Aber sie hört unser Rufen nicht, es ist so traurig, und wer jetzt nicht heult, hatte schon vorher keine Tränen mehr.

Nun ist es da, das dritte Album von Adele. Es heißt "25", weil Adele vor zwei Jahren mit der Arbeit daran begonnen hat, und es ist die von Musikindustrie und Fans am heftigsten erwartete Platte des Popjahres. Der "21" betitelte Vorgänger machte aus Adele Laurie Blue Adkins aus Tottenham einen Superstar. Mehr als 30 Millionen Mal verkaufte sich das Werk, und tatsächlich ist diese Frau eine einzigartige Erscheinung. Es wirkt immer, als sei sie aus Versehen zu dieser Popularität gelangt, und ein großer Teil ihrer Beliebtheit rührt daher, dass sie so ist, wie man auch gern wäre, wenn man wider Erwarten berühmt würde: total normal. Sie ist unsere Stellvertreterin im Olymp.

Adele hat sich von dem vielen Geld ein Haus auf dem Land gekauft. Sie hat einen Sohn bekommen, der Angelo heißt. Sie hat eine Tour wegen Liebeskummer abgebrochen, und im Grunde ist sie der Star für eine Zeit, in der die Menschen ständig twittern, vorm Schlafengehen aber in alten "Landlust"-Ausgaben blättern. Für den Song "Skyfall" zum vorletzten Bond-Film holte sie sich 2012 einen Oscar ab, dann schwieg sie mehr als zwei Jahre. Warum so lange? Ihr sei das Leben dazwischengekommen, ließ sie schulterzuckend verlautbaren, und das ist schon sehr umwerfend.

Ein kleines Comeback also, und es ist durchaus gelungen. "25" hat einige großartige Stücke, die wuchtige Vorab-Single "Hello" gehört unbedingt dazu, sie gibt die Atmosphäre der elf Songs vor: "I'm dreaming about who we used to be". Emotionale Standortbestimmung. Seinserkundung. Charakterkunde. Weiterer Höhepunkt: "I Miss You", ein Lied, dass Adele zu düsterer Elektronik singt. Die Atmosphäre ist diesig, verhangen, die Beats stolpern durch eine regnerische Nacht, und Adele singt sich allmählich in Rage. Sie erzählt vom Vermissen, und am Ende schreit sie geradezu - selbst der mächtige Bass geht vor ihr in die Knie.

Adele schreibt ihre Songs selbst, aber sie lässt sich von verschiedenen Produzenten bei der Einrichtung der Stücke helfen. Und das ist denn vielleicht auch das Problem dieser Platte: Ihr fehlt der rote Faden, jedes Stück trägt eine andere Handschrift. Einmal gibt es sogar einen Ausfall: "Send My Love" hat der allgegenwärtige Max Martin produziert. Er arbeitet sonst mit Taylor Swift, und das Stück klingt, als habe die Amerikanerin es wegen Schwachbrüstigkeit ausgemustert.

Ansonsten steht natürlich die Stimme im Vordergrund. Mitunter erinnert sie an Barbra Streisand. Es dominiert die Piano-Power-Ballade, und jedes Arrangement lässt genug Raum, damit Adele Anlauf nehmen kann für überwältigende Refrains, damit sie Luft holen kann, um den Sturm zu entfachen. Man kann diese Musik nicht nebenbei hören, wenn diese Frau singt, muss alles andere schweigen. Das Großartige daran ist, dass sie stets Geschichten erzählt, dass es im Grunde gar nicht so sehr um Form und Arrangement geht, sondern um die Bedingungen, unter denen die Lieder entstanden. Niemand erzählt so ehrlich - ja: so aufrichtig - von Herzweh und Verlassenwerden, von Alleinsein und vom Zweifel wie Adele. Bei den anderen Frauen in der Königsklasse des Pop weiß und akzeptiert man, dass sie Kunstfiguren sind, die sich Texte überstreifen wie neue Kleider. Adele hingegen ist echt, jede Zeile wirkt als notarielle Beglaubigung wahrhaftiger Versehrtheit.

Adele – sie heult beim Komponieren
7 Bilder

Adele – sie heult beim Komponieren

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Foto: Mari Sarii

Das ist Soul im besten Sinne, Seelenmusik. Adele trägt ihre Seele auf der Zunge, sie hat diese Lust am Sinfonischen, an der Schönheitstrunkenheit. Man muss der Welt erstmal beim Vorüberziehen zuschauen, um all die Geschichten sammeln zu können, die vorbeischwimmen im Fluss der Zeit. Es gibt so viel zu beobachten und zu überlegen, warum sich also beeilen? Adele macht Lieder aus dem Treibgut, das sie aufliest, und nur so kann sie tun, was sie am besten kann: aus vollem Herzen singen. Gut, dass sie zurück ist.

(hols)
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