"Do They Know It's Christmas?" Melodie für Millionen

Düsseldorf · Campino wird kritisiert, weil er sich mit Band Aid für die Bekämpfung von Ebola einsetzt. Warum nur? Versuch über ein Zeitphänomen.

Band Aid 30 – diese Deutschen singen mit Campino gegen Ebola
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Band Aid 30 – diese Deutschen singen mit Campino gegen Ebola

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Foto: dpa, Ronald Wittek

Die Diskussion um Campino und das Band-Aid-Projekt wirft Fragen auf. Die drängendsten sind diese: Warum müssen sich eigentlich diejenigen Vorwürfe anhören, die vortreten und sich engagieren für Menschen, die um ihr Leben kämpfen? Und warum ernten jene Zustimmung, deren Tagewerk sich darin erschöpft, Geschmacksfragen zu stellen, und die statt zu helfen bloß Häme verbreiten, zynisch sind und überhaupt so weit entfernt von allem stehen, was mit Menschlichkeit zu tun hat, dass es weh tut?

Aber von vorne. Bob Geldof sah 1984 in der BBC einen Bericht über die Hungersnot in Äthiopien. Er war schockiert, er hatte nicht gewusst, dass es so schlimm ist, und weil er Musiker ist, schrieb er einen Charity-Song. Es ging ihm um Geschwindigkeit, er wollte kein Meisterwerk, sondern einen Ohrwurm produzieren - rasch. Binnen Tagen spielte er das Lied mit prominenten Kollegen ein. "Do They Know It's Christmas?" wurde zum Hit, Geldof legte ihn drei weitere Male neu auf, zuletzt vor wenigen Tagen unter dem Titel Band Aid 30 zur Bekämpfung von Ebola in Westafrika. Das Lied wuchs über drei Jahrzehnte hinweg zum Volkslied der Humanität, und dass es immer noch im Radio läuft, lässt erahnen, dass etwas nicht stimmt in der Welt. Das ist ein Ohrwurm, der sagt: Du musst Leben retten.

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Neu ist, dass es nun auch eine deutsche Fassung gibt. Campino hat sie mitverantwortet, er trommelte Künstler zusammen. Er gab das Wertvollste, was er hat, seinen Namen, und das ist mutig. Viele, die ihn nun dafür kristisieren, haben diesen Mut nicht, sie kommentieren sein Tun online und im Schutz der Anonymität, und dass sie das machen und in welchem Ton, lässt aus Ahnung Gewissheit werden: Etwas stimmt nicht in der Welt.

Das Lied sei doch so schlecht, heißt es, und wenn Millionäre wohltätig werden, sei das wohlfeil, und überhaupt wollten sich da einige in den Vordergrund spielen und PR in eigener Sache machen. Der Tote-Hosen-Gitarrist Michael Breitkopf musste sich im Radio fragen lassen, ob es ihm nicht peinlich gewesen sei, da mitzusingen. Die Frage ist unverschämt. Sie legt im Grunde diesen Schluss nahe: Wer sich engagiert, macht sich verdächtig, und wer nichts tut, ist unangreifbar und auf der richtigen Seite.

Gebündelt hat all das Ressentiment der Fernsehmann Jan Böhmermann. Er führt Campino in einem sechs Minuten langen Beitrag vor, der wie ein Schnellgericht anmutet. Lass es besser bleiben, sagt er und fragt: "Warum spendet man Geld nicht einfach nur so, damit ein Ebola-Patient etwas Leckeres zu essen bekommt?" Er sieht offenbar nicht die Not, die Menschen zeitgleich in diesen sechs Minuten durchleiden. Er kann nicht begreifen, dass der Faktor Zeit eine Rolle spielt und dass das Lied Mittel zum Zweck ist und es hier nicht um die Frage geht, welche Turnschuhe die richtigen sind. Böhmermann ist das Gegenteil von Campino, nämlich egoistisch. Er möchte Lacher abgreifen, er setzt sich nicht ein, sondern erhebt sich über andere.

Wenn es ihm um die Sache ginge, um Fürsorge und die Antwort auf die Frage, was wahr ist und was falsch, hätte er gesagt: Gut, dass die Musiker das machen. Aber ist gesichert, dass das Geld ankommt? Über den Band Aid Trust, der die Spenden verwaltet, wurde viel geschrieben; es gab Zweifel, dass alle Gelder die Elendsgebiete erreichen. Zum Glück kann man einfach Burkhard Wilke anrufen. Der Geschäftsführer des Zentralinstituts für soziale Fragen vergibt das Spendensiegel für vertrauenswürdige Hilfseinrichtungen in Deutschland.

"Tatsächlich könnte die Politik des britischen Band Aid Trusts transparenter sein", räumt Wilke ein. "Auf der Homepage der Organisation findet man zwar Finanzberichte, die sind aber wenig aussagekräftig." In England gebe es so etwas wie ein Spendensiegel nicht. Wilke hat sich deshalb detailliertere Aufstellungen besorgt. Fazit: "Band Aid Trust leitet das Geld nachvollziehbar an seriöse Partner wie Oxfam und Unicef weiter, die Projekte in den Krisenregionen betreiben."

Er steht in Kontakt mit den Organisatoren der deutschen Band-Aid-Abteilung. Die hat gerade etwa die viel kritisierte Eröffnungssequenz des Videos zu "Do They Know It's Christmas?", in der eine kaum bekleidete Frau auf eine Trage gelegt wird, aus dem Clip genommen. "Man kann dem Band Aid Trust den Vorwurf machen, die Spendenwege nicht für alle offenzulegen, sondern nur für diejenigen, die danach fragen", sagt er. Aber das Projekt in Frage zu stellen oder die Macher zu beschimpfen, sei gefährlich: "Es wäre sehr nachteilig für gemeinnützige Aktivitäten, wenn sich Prominente aus Furcht vor solchen Reaktionen nicht mehr beteiligen würden." Und: "Es geht um zu viel."

Wer lieber direkt spenden möchte als über den Umweg Band Aid, möge das tun. Wenn das Lied die Diskussion über die beste Art des Helfens in Gang bringt, hat es viel erreicht. Aber die Alternative kann nicht sein, nichts zu tun.

(RP)
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