Beth Ditto im Konzert Berge versetzen: "Gossip" live in Köln

Köln (RP). Gegen Ende steht sie in Unterwäsche da. Sie ist barfuß und verschwitzt, optisch eine Mischung aus Claudia Roth und Biene Maja, stimmlich aus Aretha Franklin und Cyndi Lauper. Sie singt den alten Kracher von Tina Turner, "What's Love Got To Do With It", warm und lockend und aufreizend langsam die Strophen, geschrien und vom Schlagzeug mit einiger Wutlust verprügelt den Refrain. Es ist der Gipfel. Lange hat man kein Konzert mehr gesehen, das derart auf den Punkt gebracht hat, was Popmusik ausmacht: Die Band "Gossip" und ihre überwältigende Sängerin Beth Ditto aus Arkansas gastieren im ausverkauften Palladium in Köln.

Beth Ditto rollt durch Deutschland
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Sie ist die wichtigste Frau im Pop. Nicht weil sie zu seinen wenigen neuen Weltstars gehört: Ihre Single "Heavy Cross" wird seit Monaten in den deutschen Top 10 geführt, das aktuelle Album verkauft sich in den USA und Großbritannien gut. Vielmehr noch verkörpert sie ­ ganz buchstäblich ­ die ursprüngliche Widerständigkeit von Pop. Sie variiert das Angebot zur Selbsterkenntnis, das dieser Musik innewohnt und sie so euphorisierend machen kann: Ich bin gut, wie ich bin ­ obwohl ich bin, wie ich bin. Ditto stärkt das demokratische Prinzip des Populären.

Lagerfeld nennt Ditto Muse

Sie ist lesbisch und hat einen Körper, den das Adjektiv "barock" gerade so ummantelt. Karl Lagerfeld nennt sie "Muse", die englische Zeitung "Guardian" lässt sie eine Ratgeber-Kolumne schreiben: "Was würde Beth Ditto tun?" Sie spielt Musik, die knietief im Punk steht und den Kopf in die Disco reckt. Eine Neuauflage von Blondie für das 21. Jahrhundert. Es geht in ihren Texten um das richtige Leben im Allgemeinen und um Homosexualität im Speziellen. Hab' eine Haltung, mahnt sie. Beth Ditto macht, dass du dich zum ersten Mal im Spiegel erkennst.

Sie beginnt das Konzert glänzend grün verkleidet, sie rennt und springt, und wenn sie geht, sieht das aus wie bei Boy George im Video-Clip zu "Do You Really Want To Hurt Me": Ellenbogen an die Hüfte, halbe Drehung, linke Fußspitze tipp, rechte Fußspitze tipp. In den kaum 80 Minuten kloppt das um zwei Musiker verstärkte Trio die Songs vor allem des vierten Gossip-Abums "Music For Men" durch.

Die Stimme von Beth Ditto bricht wie eine Druckwelle aus ihrem Leib, hält die hochenergetische Musik, die einem wie eine Explosion die Hitze in die Wangen treibt, auf Abstand. Sie bringt "Love Long Distance", zitiert "I Was Made For Loving You" von Kiss, covert "One More Time" von Daft Punk. Sie ist das Kraftzentrum dieser Gemeinschaft, ist lässig, hat Power, und nach den Zugaben wundert man sich, dass das Mikro unter dem Druck ihrer linken Hand nicht zum Diamant geworden ist.

Erfolg gegen die Norm

Das Phänomen Beth Ditto ist umso erstaunlicher, da Popmusik und ihre Interpreten in dieser Zeit bestimmte klangliche wie optische Vorgaben erfüllen müssen. In England hat sich die von 16,6 Millionen Menschen geschaute Casting-Show "The X-Factor" zur marktbeherrschenden Institution entwickelt: Sieben Songs in den britischen Top Ten tragen das vermeintliche Gütesiegel "X-Factor". Das ist eingängige Hochglanz-Musik von braven und zur Dankbarkeit erzogenen Quer-Einsteigern. Eine international symptomatische Erscheinung: Wer gegen die Norm verstößt, wird zur Belustigung der Massen eine Weile mitgenommen, fliegt aber auf einen Wink der Jury raus.

Beth Ditto bleibt, hoffentlich. In Köln stellt sie ein zuletzt viel zitiertes Interview der Zeitschrift "In Touch" richtig. Sie habe nie gesagt, dass sie nicht glücklich sei mit ihrem Körper. Im Gegenteil: "Ich liebe es, darin zu leben." Dann singt sie "Standing In The Way Of Control", die revolutionäre Hymne, und schickt alle heim ­ - zum Berge-Versetzen.

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