"Otago" Da ist Musik drin

Düsseldorf · Als Liedermacher "Spaceman Spiff" hatte Hannes Wittmer Erfolg, aber auch zu kämpfen damit, dass er auf seine Texte reduziert wurde. Deshalb singt er nun auf Englisch, mit Elektro-Sounds und Band. Hätte schiefgehen können, ist aber schön.

 Hat sich absichtlich in den Wald begeben: Dem Liedermacher Hannes Wittmer (31) alias "Spaceman Spiff" war Poesie zu Gitarrenklängen nicht mehr genug.

Hat sich absichtlich in den Wald begeben: Dem Liedermacher Hannes Wittmer (31) alias "Spaceman Spiff" war Poesie zu Gitarrenklängen nicht mehr genug.

Foto: Christoph Naumann

Man muss sich Singer-Songwriter als trotz allen Glücksmomenten latent enttäuschte Menschen vorstellen. Bestätigt und geschmeichelt vom ständigen Lob für ihre tiefsinnigen Texte, aber auch getroffen davon, häufig darauf reduziert zu werden wie eine schöne Frau auf ihre Schönheit.

So sehr, dass mancher Liedermacher selbst die Beschwerde, sie klängen doch alle irgendwie gleich, dankbar aufnehmen dürfte — schließlich muss dafür jemand überhaupt mal auf die Musik geachtet haben statt nur auf die Poesie. So war das beim Würzburger Hannes Wittmer (31), der 2014 mit seinem dritten Album "Endlich nichts" vollends angekommen war bei Publikum und Kritikern (ein ausführliches Porträt lesen Sie <u>hier</u>). Doch als nach acht Jahren und hunderten Konzerten als Liedermacher die Zeit reif schien für die Zündung der nächsten Stufe - gen Mainstream -, verordnete sich Wittmer 2015 eine ausgiebige Kunst-Pause. Wann es mit "Spaceman Spiff" weitergehen sollte, oder ob überhaupt, war offen. Doch Wittmers erste Schreib- und Singversuche auf Englisch (diesmal unter dem Alias "A Tin Man") stießen auch unter seinen ausgesucht höflichen Fans eher auf Ratlosigkeit als Gegenliebe.

Anstatt sich aber nun fluchtreflexartig wieder auf das gewohnte Terrain zurückzuziehen, spielte sich Wittmer Anfang dieses Jahres per Comeback-Tournee nur genügend Mut an, um den nächsten Schritt zu gehen: Unter dem Namen "Otago" musiziert er nicht nur auf Englisch, sondern auch mit Band — zur schon zuletzt stets an Wittmers Seite spielenden Cellistin Clara Jochum gesellen sich der Schlagzeuger Jonny König ("Stoiber on Drums"), David König sowie Kilian Brand.

Otago ist kein Kunstwort, sondern eine Region in Neuseeland, die sich von den majestätischen Gipfeln der Neuseeländischen Alpen über Hügelketten, waldgesäumte Gletscherseen und weite Ebenen hinzieht bis zum Pazifik. Ähnlich abwechslungsreich ist das selbstbetitelte Debütalbum dieser Band. Cello- und Keyboard-Klänge, Drums, Basslinien und elektronische Beats tragen und treiben Wittmers Gesang, immer wieder dürfen sie auch ein, anderthalb Minuten umeinander kreisen. Und das liegt diesmal nicht daran, dass sich Wittmer seiner Worte schämen würde wie zu Beginn seiner Karriere, als er die emotionalsten Zeilen vor Angst absichtlich nuschelte. Aber gar keine Texte wie bei Wittmers Ambient-Projekt "Stein Schwere Papier" 2012 sind ja auch keine Lösung.

Passend sphärisch sind die Songs voller aus dem Leben destillierter Weisheiten ("Hold on to the things / and people that make you forget / that you are terrified"). Die reduzierten Texte werden Wittmer vermutlich kein weiteres Interview mit dem Literaturmagazin "Poet" einbringen, stehen eben nicht im Vordergrund — geraten aber auch nicht ins Hintertreffen.

Melancholisch sind sie, und anstelle von Coolness schwingt im Subtext immer wohltuende Wärme mit. Diese Platte ist mehr als nur Wittmers endgültiger Sieg über seinen selbstdiagnostizierten Minderwertigkeitskomplex gegenüber den klampfenden Dichter "Spaceman Spiff" (der übrigens nicht beerdigt ist, sondern nur pausiert). Sie wächst einem nach anfänglicher milder Irritation ans Herz und wirkt dort als Kitt und Medizin mit ihren Vibes von Glaube, Liebe, Hoffnung — ein klein wenig wie einst, ja, Coldplays magisches Debütalbum "Parachutes".

Alle elf Songs von Otago sind bei thisisotago.com zu hören, aktuelle Interviews mit Hannes Wittmer hier und hier.

(tojo)
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