"Blank Project" Das großartige neue Album von Neneh Cherry

Düsseldorf · Das erste Soloalbum nach 18 Jahren heißt "Blank Project". Die 49-Jährige verbindet Elektronik und Jazz. Die Mischung ist atemberaubend.

"Blank Project": Das großartige neue Album von Neneh Cherry
Foto: Neneh Cherry

Neneh Cherry nahm sich fünf Tage frei von ihrer Familie in London, sie zog in eine zum Studio umgebaute Kirche in Woodstock im Bundesstaat New York und sang sich von der Seele, was sie belastete und beschäftigte, Alpträume und Hoffnungen, Neurose und Drepression. Das Ergebnis ist nun da, das Album heißt "Blank Project", und es ist atemberaubend.

Wer von Neneh Cherry nur die frühen Hits aus den 80er und 90er Jahren kennt, "Buffalo Stance" etwa, "Manchild", "I've Got You Under My Skin" und "7 Seconds", wird die Künstlerin nicht wiedererkennen. Würde man die neue Platte einem Genre zuordnen wollen, man müsste es erst erfinden: elektronischer Jazz vielleicht, Songwriter-HipHop, digitaler Blues. Festgelegt hat sich die schwedische Stieftochter des Free-Jazz-Trompeters Don Cherry indes nie. Damals nicht, als sie mit ihrer Band Rip Rig & Panic zu Beginn der 80er Jahre Jazz und Punk kreuzte. Und auch zuletzt nicht, als sie mit Ehemann Cameron McVey und Tochter Tyson das TripHop-Projekt CirKus gründete und mit der schwedischen Jazzband The Thing das Album "The Cherry Thing" veröffentlichte, auf dem sie Stücke von Suicide, den Stooges und Ornette Coleman neu einkleidete.

Am 10. März wird Neneh Cherry 50

Neneh Cherry feiert am 10. März ihren 50. Geburtstag, und auf "Blank Project", ihrem vierten Soloalbum, dem ersten nach 18 Jahren, zieht sie nun Bilanz. Die ständige Sorge, in der eine Mutter lebt, die Krise in der Beziehung zum Ehemann, der Tod der Mutter, die Unmöglichkeit, einfach mal alleine zu sein, das Fehlen der Zeit, die man benötigt, um Inspirationen zu sammeln. "Ich tanze weiter, aber ich kann die richtigen Bewegungen nicht finden", singt sie, und: "Lass mich allein, aber mach mich nicht einsam." Neneh Cherry rappt ihre Zeilen, aber nicht so, wie andere Künstler rappen, sie rockt sie mit viel Wut und Verzweiflung runter, spuckt sie dem Hörer vor die Füße. In anderen Stücken flüstert sie nur mehr, seufzt geradezu.

Das Album wurde produziert von Kieran Hebden, den Fans elektronischer Musik unter dem Namen Four Tet kennen. Hebden ist das Wunderkind der gebrochenen Beats, und hier stellt er sein Talent ganz in den Dienst Neneh Cherrys. Das ist eine raffinierte Produktion, die Stimme steht stets im Vordergrund, sie hat Luft zum Atmen, und was Hebden hinzugibt, ist im Grunde Atmosphäre: Er baut einen Resonanzraum und streicht die Wände in zarten, unaufdringlichen Farben. Man wird seine Arbeit am besten würdigen können, wenn man sich das erste Stück anhört, "Across The Water". Es gibt nur zwei Zutaten darin, den Gesang und zurückhaltende, aber unheimlich präzise Percussion. Jede Silbe bekommt ein Echo, die Wirkung der Botschaft wird dadurch verstärkt, die Intimität gesteigert. Überhaupt geht es hier um Intensität: Das Duett mit der schwedischen Synthie-Pop-Sängerin Robyn etwa beginnt wie ein Radiohit nach Schema F, aber im entscheidenden Moment verweigert "Out Of The Black" die Abfahrt, löst die Spannung nicht auf, kondensiert sie vielmehr, was einen schier rasend macht.

Hebden hat zwei Musiker an seiner Seite, das Brüderpaar Rocketnumbernine, sie arbeiten kongenial zu: Die digitalen Drums klingen hinreichend kalt und nervös, haben aber Swing. Manchmal lassen sie den Bass brüllen, dann bringen sie eine Kuhglocke zum Klingen, und das ist nie zu viel oder albern, sondern verblüffend und pointiert. Den Höhepunkt hebt sich Neneh Cherry für den Schluss auf. In "Everything" läuft eine Soundschleife mit einem Sample von Cherrys Gesang. Die Künstlerin singt dazu ihr Lied, sie beginnt ein Duett mit sich selbst, und was so beklemmend begann, endet versöhnlich: "Good Things Come To Those Who Wait", weiß Neneh Cherry.

Wie schön, dass sie zurück ist.

(RP)
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