Miley Cyrus Die faszinierende Nervensäge

Köln · Miley Cyrus trat vor 10 000 Fans in Köln auf. Sie verblüffte mit Songs von den Beatles und den Smiths.

Miley Cyrus: Bilder ihres Konzerts in Köln
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Miley Cyrus tritt in Köln auf

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Am Anfang fühlt man sich noch, als sei man gefangen in einem Werbespot für das Energiegetränk Red Bull. Da vorne hüpft eine 21-jährige Multimillionärin, und sie hat keine Zeit, alt zu werden, weil sie über die Freuden ewiger Pubertät predigen muss. Die Bühne wirkt wie das Studio einer Kika-Sendung: Plüsch-Affen tanzen im Goldflitter-Regen zu halbstarken Beats, neben ihnen neongrelle Monster, die nur aus Beinen und Köpfen bestehen.

Aber plötzlich wird es ruhig, der Lichtmeister dunkelt die Kulisse ab, und Miley Cyrus, die im Rest der Show ausgetestet hatte, wie nackt man sein kann, obwohl man sich angekleidet hat, steht in schwarzem Anzug da und guckt traurig. Sie wolle nun ein Lied für ihren toten Hund Floyd singen, sagt sie in breitestem Nashville-Amerikanisch. Sie hoffe, es gehe ihm gut im Himmel. Dann beginnt sie "Lucy In The Sky With Diamonds", eine bombastische Coverversion des Beatles-Klassikers. Sie wirft sich in dieses Lied, taucht ein, schwimmt. Die 10 000 im Schnitt 14 Jahre alten Fans schreien und filmen, es ist alles zu viel für sie, und selten erlebte man etwas, das so absurd und großartig zugleich ist.

Miley Cyrus tritt in der Kölner Arena auf, und wer dabei ist, weiß, wie sich die Gegenwart anfühlt. Dieser faszinierende Abend ist radikal auf ein Publikum zugeschnitten, das die Selbstermächtigungsfantasien seines Stars dankbar annimmt. Cyrus kümmert sich nicht um das Gesetz der Perfektion, das sonst in diesen Hallen herrscht. Sie lässt ihre Stimme nicht per Computerprogramm unterstützen; man hört, dass sie schief singt, wenn sie schief singt. Sie kultiviert in den Ansprachen eine ruppige, aber rührende Ehrlichkeit. Sie hält nichts von gutem Geschmack, weil die Welt ja auch nicht nur schön ist. Und manchmal kommt es einem vor, als sehe man jemandem zu, wie er die schlimmsten Stellen aus dem Roman "Feuchtgebiete" von Charlotte Roche pantomimisch nachspielt und dazu Kirmesmusik in doppelter Geschwindigkeit laufen lässt.

Es gibt Augenblicke des Schulterzuckens, Szenen größter Peinlichkeit, Obszönitäten, Trash, Irrsinn und Anstößigkeiten - die Nerven werden extrem belastet. Aber: Keine der 110 Minuten ist langweilig. Das Wesen von Cyrus ist es, hinauszustürmen in die Welt und andere zu umarmen, auch wenn die nicht umarmt werden wollen. Bei ihr ist es den ganzen Tag lang superkurz vor zwölf, und ihr Prinzip sind Schamlosigkeit und Unverschämtheit. Sie rutscht über ein vergoldetes Auto, reitet auf einem gigantischen Hot Dog, lässt sich von Prachtkerlen im überdimensionierten Bett kitzeln, bringt die Eltern im Publikum zum Verzweifeln und deren Kinder zum Seufzen. Zwischendurch verblüfft sie mit musikalischer Hingabe. Sie covert "There's A Light That Never Goes Out" von den Smiths, "Jolene" von ihrer Patentante Dolly Parton und "Summertime Sadness" von Lana Del Rey. Sie steht in Cowboy-Stiefeln mit aufgeklebten Dollarzeichen aus Strass-Steinchen und singt diese alten Lieder. Es ist unfassbar.

Cyrus hat schon eine komplette Superstarkarriere hinter sich - als Hauptfigur der Disney-Serie "Hannah Montana". Die Tochter des christlichen Countrysängers Billy Ray Cyrus war das Gesicht des keuschen, vorpubertären Amerikas, das mit Stolz den Purity Ring als Symbol der Reinheit bis zur Ehe trug. Aber das ist vorbei, nun setzt sie sich mit Bauklötzen aus dem Provokationsarsenal der Pophistorie eine neue Identität zusammen.

Cyrus ist eine Entertainerin, was ihr indes fehlt, sind große Songs. Sie hat "Wrecking Ball" und "We Can't Stop", aber wenig mehr. Wenn sie jemanden findet, der ihr Stücke mit der Wirkung von Rihanna-Songs schreibt, ist sie unschlagbar.

(RP)
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