Neue "Remastered"-Version Die göttliche Callas jetzt ohne Rauschen

London · In einer atemberaubenden "Remastered"-Version liegen alle 26 Opernaufnahmen und Arienabende der großen Sopranistin Maria Callas jetzt in einer 69-CD-Box vor. Nicht nur Klangfetischisten kommen auf ihre Kosten.

 Maria Callas.

Maria Callas.

Foto: picture-alliance / dpa

Wenn man diese Box öffnet, steht ein kleiner Hochaltar vor einem. Wie in Treppenstufen steigen diese 69 CD über zwei Reihen aufwärts, kostbar sind sie beschriftet: Verdis "La traviata", Cherubinis "Medea", Puccinis "Tosca" und viele andere ihrer 26 Opernaufnahmen, dazu 13 Recitals, Arien, Raritäten und die kompletten Textbücher auf CD-Rom. Auf dem Gipfel des imperialen Aufstiegs wartet ein Buch mit wundervollen Fotos mit Archivzetteln, Aufnahmeprotokollen und Künstlerporträts. Die Box ist eine Inszenierung, und in ihrem Mittelpunkt steht die Eine, die Einzigartige, die Göttliche: Maria Callas.

Wie jetzt? Wieder eine Neuedition aller Aufnahmen von 1949 bis 1969, die man längst kennt, eine neue Stafette der Beglückungen, die alle Umstehenden wieder mit offenen Mündern stehen lässt, wie jemand eine so intensive Stimme besitzen konnte. Die Callas war ja nicht bloß eine Diva mit Kapriolen und Schrullen; sie war nicht nur eine vor dem Leben und seinen Peinigungen (etwa der lieblosen Behandlung durch Ari Onassis) immerzu Flüchtende - vor allem war sie eine Künstlerin, die mit jedem ersten Takt, den sie sang, gleichsam auch die Glut anzündete wie ein Feuerzeug, in einem fast manischen Vorgang, den sie nicht kontrollieren konnte. Die Callas konnte nicht unbeteiligt singen, wie auf Reserve und mit angezogener Handbremse. Sie gab immer 100 Prozent, und die Kohlen glühten hinterher lange nach.

Dass jetzt das klingende Lebenswerk der Callas in einer neuen "Remastered"-Version auf den Markt kommt, sollte den Kenner nicht vorschnell abwinken lassen. Zwar gibt es von den meisten Callas-Aufnahmen bereits digital aufgehübschte Versionen, allerdings drangen die Produzenten nie zu den Mutterbändern, den legendären Mastertapes, vor. Die galten über Jahrzehnte - als Wahrerinnen der vollständigen und nicht komprimierten Kerninformationen des Klangs - als verletzliche Inkunabeln, die im Heiligenschrein der Archive aufbewahrt und gegen jede Abspielung verteidigt werden mussten. Man fürchtete Risse, Verzerrungen, Abrieb.

Trotzdem hat es diese Fühlungnahme jetzt gegeben, aber mit sehr schonenden Verfahren, und dank moderner High-Definition-Technik (HD) bieten sie nicht weniger als eine Sensation. Sie betrifft nicht nur die allfällige Rauschunterdrückung, die in diesem Fall der Callas gründlicher und hygienischer erfolgt ist als je zuvor; sie optimiert und erweitert auch selbst für die limitierte CD die Frequenzbereiche merklich, weswegen man auch hier eine fast aufregende Präsenz und räumliche Staffelung erlebt. Glaubte man bei ihrer "Turandot"-Aufnahme bisher, sie sei im Wohnzimmer des Kaisers von China entstanden, so wähnt man sich jetzt schier auf dem Platz des Himmlischen Friedens.

Zu verantworten haben diese revolutionären Verbesserungen die Techniker der Londoner Abbey Road Studios. Deren Aufgabe war von Anfang an zweigeteilt: Sie begann mit der Suche nach den Mutterbändern, die vor allem in England und Frankreich lagen, und dann wurden diese Aufnahmen mit ultramoderner Software bearbeitet, die es vor einigen Jahren noch gar nicht gab. Wer das jetzt auf einem HD-Download hört, erlebt einen Frequenzbereich bis 24-bit/96 kHz. FonoForum-Experte Björn Woll fand dafür eine treffende Formulierung: "Fast klingt es, als hätte man den Schleier von einer beschlagenen Scheibe gewischt!"

Diese technischen Verbesserungen bieten auch bei der Überspielung auf CD deutliche Vorteile. Es konnten etliche Echos gelöscht werden, Fehlgeräusche, unangenehmer Hall. Und dank der neuen Bearbeitungssoftware "Cedar Retouch" ließ sich beispielsweise das berüchtigte Pfeifgeräusch zu Beginn der Arie "Vissi d'Arte" aus "Tosca" vollständig eliminieren, ohne dass wichtige Parallelinformationen getilgt wurden. Andere Sequenzen, etwa in "Norma", in denen ein fast grotesker Straßenlärm aufs Mutterband drang (bei der Aufnahme hatte ein Fenster offen gestanden), wurden ebenfalls perfekt geliftet: Das Klangbild wurde so gezoomt, dass der Störbereich zweifelsfrei identifiziert und die Übeltäter unschädlich gemacht werden konnten.

Die Techniker legen Wert darauf, dass sie nicht in die Qualität der Stimmen eingriffen; auch das wäre technisch möglich gewesen. Wo die spätere Callas mitunter expressiv klirrt, bleibt das Klirren erhalten. Allerdings entfallen die unangenehmen Übersteuerungen. In jedem Fall ist der neue Erlebnisluxus selbst für Normalsensible beträchtlich. Der Hörer dringt nun noch direkter in die Zone des unmittelbaren Kontakts zu einer Stimme ein. Er erlebt sie in ihrer wilden Entäußerung, ihrem süßen Kampf um das Wahrhaftige, ihrem überwältigenden Furor, ihrer schroffen Sinnlichkeit selbst im Wahnsinn ("Macbeth"-Arie) - und er kommt erneut zu dem Schluss, dass diese Hingabe der Callas an ihre Kunst etwas Exemplarisches und wohl auch Unwiederholbares besaß. Dieser Kunst vermag der Hörer dank dieser Box grandios nahe zu sein.

(RP)
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