Musikmärchen Echt unglaublich

Noch im vergangenen Jahr lebte der amerikanische Musiker Doug Seegers unter einer Brücke in Nashville. Dann wurde er durch einen Zufall zum Superstar in Schweden – ein Märchen, das sich beinahe so zugetragen hat.

 Doug Seegers, Jahrgang 1952, war Obdachloser in Nashville. Jetzt ist er in Schweden ein Star.

Doug Seegers, Jahrgang 1952, war Obdachloser in Nashville. Jetzt ist er in Schweden ein Star.

Foto: Gregg Roth

Noch im vergangenen Jahr lebte der amerikanische Musiker Doug Seegers unter einer Brücke in Nashville. Dann wurde er durch einen Zufall zum Superstar in Schweden — ein Märchen, das sich beinahe so zugetragen hat.

Da ist dieses Schild neben ihm. "Out of work / Anything helps". Doug Seegers sitzt im Jahr 2013 auf einem Stück Gras in Nashville, angelehnt an einer Mauer, und spielt auf seiner Gitarre einen Countrysong, den er selbst geschrieben hat: "Going Down To The River". Er handelt von der Sehnsucht, sich von den eigenen Sünden reinzuwaschen. Vor ihm sitzen zwei Musiker, eine Frau und ein Mann, die eine Dokumentation fürs schwedische Fernsehen drehen. Sie können kaum glauben, was sie da hören. Diese Stimme. Wenige Monate später findet sich Doug Seegers in einem anderen Leben wieder. Als Countrymusik-Star in Schweden.

Eine Geschichte ist umso schöner je wahrer sie ist. Und diese Geschichte ist ziemlich wahr. Jedenfalls nach allem, was sich recherchieren lässt. Denn wenn immer es um den US-Klassiker "Vom Tellerwäscher zum Millionär" geht, ist zumindest Skepsis angebracht.

Und dann kam Jill

Doug Seegers, Jahrgang 1952, war nicht mal Tellerwäscher, er war Obdachloser in Nashville. Drogen, Alkohol, Brücke, Suppenküche. Das ganze Programm. Mehr als 15 Jahre lebt er damals schon in der Stadt, hat New York verlassen, in der seine Ex-Frau und seine beiden Kinder wohnen. In Nashville will er wieder Countrymusik machen wie früher, als er in Austin unter dem Namen Duke The Drifter aufgetreten ist. Doch das geht schief, er schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch und landet auf der Straße.

Dann kommt Jill Johnson in sein Leben. Johnson ist eine erfolgreiche schwedische Countrymusikerin. Für den heimischen Fernsehsender SVT, vergleichbar mit der ARD, dreht sie eine sechsteilige Serie namens "Jills Veranda" über Nashville und will darin auch über obdachlose Musiker berichten. Dabei treffen sie und ihr Begleiter Magnus Carlson auf Doug, der ihnen "Going Down To The River" vorspielt. Sie ist so begeistert, dass sie ihn einlädt, den Song in einem Studio in Nashville aufzunehmen, in dem auch Johnny Cash aufgenommen hat.

Als die Episode im schwedischen Fernsehen ausgestrahlt wird, ist der Song bereits bei iTunes erhältlich. Sofort geht er an die Spitze der schwedischen iTunes-Charts. Eine schwedische Plattenfirma bietet Seegers einen Vertrag an. Innerhalb von drei Tagen nimmt er sein Debütalbum "Going Down To The River" in den USA auf. Ende Mai erscheint es in Schweden, steigt auf Platz 1 der Charts ein.

Es ist ein gutes Album, klassischer Country, vielleicht etwas düsterer — aber ohne Seegers' Geschichte wäre es kaum so erfolgreich geworden. Nicht in einem Land, in dem Countrymusik keine Tradition hat. Gleich danach geht Seegers mit einer schwedischen Begleitband auf Tour durch das Land. Es ist sein erster Flug. Er spielt 70 Konzerte. Mit 62 Jahren. Gerade ist sein Album auch in den USA erschienen, die Americana Music Awards im September hat er mit einem seiner Songs eröffnet. Auch in seiner Heimat erzählen sie nun die Geschichte des Tellerwäschers, der zum Millionär wurde. Der amerikanische Traum, der für Seegers in Schweden wahr wurde.

Wiedersehen mit seinem Sohn

Es sind nur ein paar Details, die das Märchen nicht in Frage stellen, aber ihm zumindest etwas Bodenhaftung geben. Zum Beispiel ist die Plattenfirma, die Seegers unter Vertrag genommen hat, dieselbe wie die von Jill Johnson. Laut der Sendung "Jills Veranda" lernt die Moderatorin Doug durch den Hinweis eines Imbissbudenbesitzers kennen, Seegers sitzt in der Nähe auf einer Bank. In einer Dokumentation, die der schwedische Fernsehsender über die erfolgreiche Tour gedreht hat, klingt das schon etwas weniger märchenhaft. Jill war bei den Recherchen auf eine Suppenküche gestoßen, die auch viele obdachlose Musiker besuchten. Die Betreiberin hatte Doug dann gefragt, ob er mit der Frau vom Fernsehen sprechen wollte. Seegers wollte und nutzte die Gelegenheit, um ihr "Going Down To The River" vorzuspielen. Dass die Macher der Doku vielleicht auch ihren Teil zum Märchen beigetragen haben, zeigen zwei Ereignisse während der Tour. Zuerst kommt Seegers — angeblich von alleine — auf die Idee, in einem Gefängnis zu spielen, weil er selbst häufiger im Gefängnis saß. Er ist nicht der erste Countrymusiker, der diesen Einfall hatte. Dann lädt er seinen Sohn auf die Tour ein, den er seit sieben Jahren nicht gesehen hat. Dabei ist Seegers Geschichte dramatisch genug, ohne dass man ihr etwas hinzufügen müsste.

Vielleicht empfiehlt es sich deshalb, einen Blick auf ein Video zu werfen, das ein Youtube-User bereits 2012 von Doug Seegers hochgeladen hat, ohne dass es ihn bereits damals berühmt machte. Der User schreibt: "Hardly anyone was around. Nobody was listening. A worker on a smoke break, way in the distance. That was about it." Aber der Song, den er dort spielt — selbstverständlich "Going Down To The River" — klingt genauso ergreifend.

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