Finale am Abend in Wien Brauchen wir den ESC überhaupt?

Meinung | Wien · Unsere beiden Autoren haben höchst unterschiedliche Gedanken zum Eurovision Song Contest. Beide fragen sich: Brauchen wir den ESC überhaupt? Das sind ihre Antworten.

Das sind die ESC-Teilnehmer 2016 und ihre Lieder
Infos

Das sind die ESC-Teilnehmer 2016 und ihre Lieder

Infos
Foto: © NDR

Und wieder werden alle heute Abend in ein Wehklagen einstimmen: "Der Ostblock schustert sich die Punkte zu, wir bekommen von denen auch in einer Million Jahren keine zwölf Punkte! Und wir zahlen das alles .. ." Jammer, jammer, jammer.

Doch wer nörgeln will, ist beim Eurovision Song Contest falsch. Der Lieder-Wettbewerb ist Europas Samstagabend-Party, und wie bei jeder Party gilt: Wer sich drauf einlässt, hat Spaß! Er steht für Europa, jenseits von Pleiten, Krisen und Subventionen, und zeigt die Vielfalt und Eigenarten. Die Europäer lieben den ESC. Im vergangenen Jahr verfolgten insgesamt 195 Millionen Menschen das Geschehen - Rekord!

Früher gehörte der ESC-Samstag zu den Abenden, an denen ich als Kind ausnahmsweise mal länger wachbleiben durfte. Meine Nichten freuen sich nun auch schon auf heute, am Sonntag werden wir über Lieder fachsimpeln und Kleider bewerten. Der ESC verändert nicht die Weltpolitik und kürt auch nicht das beste Lied des Kontinents - aber es ist eine Musikshow mit Trara und ohne Demütigungen, einfach Familienfernsehen im besten Sinne. Ich kenne nicht viele Shows, auf die das zurzeit zutrifft.

Aus einer durchaus passablen europäischen Musikveranstaltung mit gelegentlich erträglichen Gesangseinlagen ist eine musikalisch unterirdische Trullala-Show geworden, die krampfhaft versucht, die Vereinten Nationen in den Kategorien Friedensbotschafter und "Political Correctness" zu übertrumpfen.

Krieg ist schlimm. Toleranz ist gut. Das wussten wir auch schon vor den ESC-Halbfinalshows. Man fragt sich, warum nicht auch ein syrisches Mädchen in zerrissener Kleidung und mit nassem Haar gegen die EU-Flüchtlingspolitik ansingt?

"Pray for Peace" aus Russland? Geht's noch? Dazu knubbelige Comicmännchen auf der Leinwand, halbnackte Tänzer in Latex und Gesangs-Laien, nach deren Auftritt man sich auf die Eurovisions-Melodie vom Band freut. Am Ende wundert man sich noch über die abstruse Abstimmungskungelei politisch befreundeter Staaten und die Voting-Exzesse der Exilanten.

Das Kürzel ESC sind schon richtig gesetzt. ESC wie Escape. Flucht. Wenn meine Frau heute zur Live-Party einlädt, gehe ich in die Kneipe gegenüber. Dort läuft immer Fußball. Notfalls gucke ich auch ein Testspiel aus der niederländischen Liga.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort