Festspiele in Bayreuth Wagners "Meistersinger" erinnern an Nürnberger Prozesse

Im berühmten Saal der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse hat die Neuinszenierung der "Meistersinger von Nürnberg" bei den Bayreuther Festspielen gespielt. Regie und Musiker bekamen viel Beifall.

 Provokant: Ein Nachbau des Gerichtssaals der Nürnberger Prozesse als Kulisse für die Meistersänger.

Provokant: Ein Nachbau des Gerichtssaals der Nürnberger Prozesse als Kulisse für die Meistersänger.

Foto: Bayreuter Festspiele

Katharina Wagner, die Cosima der Bayreuther Festspiele von heute, hat dieser Tage öffentlich aufgeatmet: 2017 sei am Hügel ein wunderbar skandalfreier Jahrgang. In der Tat, kein Bariton hat altgermanische Runen auf seiner Wade entdeckt, kein Regisseur hat die Brocken hingeworfen, kein Dirigent hat wegen der Sänger rumgezickt, und auch Cousine Nike ist ruhiger geworden.

Segeln im Windschatten früherer Stürme — das ist ein ungewöhnlicher Zustand, der sich freilich mit der Neuinszenierung der "Meistersinger von Nürnberg" scheinbar fortsetzt. Zunächst bittet uns der Regisseur Barrie Kosky ins Wohnzimmer der Bayreuther Villa Wahnfried (Bühne: Rebecca Ringst), wo es gleich eine der legendären Privataufführungen geben wird, an diesem Tag natürlich die flammneuen "Meistersinger".

Alle sind da, doch mitnichten bester Laune: Gattin Cosima hat Migräne, und der jüdische Dirigent Hermann Levi fällt — in der Partie des Sixtus Beckmesser — beim einleitenden Gemeindechoral nicht auf die Knie, sodass Wagner nachhelfen muss. Mit dabei: Schwiegervater Franz Liszt, der den Veit Pogner mimen wird, und Cosima, die das Evchen sein wird. Die weiteren tragenden Rollen (Hans Sachs, Walther von Stolzing, David) fallen allesamt an Wagner selbst oder eines seiner Doubles, die mit Barett und Samtmantel aus dem Flügel steigen.

 Der eifersüchtige David.

Der eifersüchtige David.

Foto: Bayreuther Festspiele 2

Das alles prasselt mit einem komödiantischen Tempo von der Bühne, dass man sich zwei Dinge fragt: Wird Kosky diese Verdichtung von Gesten, Mimik, Bewegung, diese Choreografie der Handlung durchhalten können? Und was wird aus dem Juden Levi, der bittere Geringschätzung spürt, wenn auch vorerst nur im kleinen Kreis?

Es braucht dann nicht lange, bis sich Levis Beckmesser als schlimmer Finger erweist, als Hochpotenz einer Judenkarikatur, wie Wagner sie ebenso liebte wie hasste. Dieser Beckmesser ist aber auch ein Kritikaster, ein Schleimer, ein Denunziant. An solchen Figuren entzündete sich Wagners Antisemitismus; im völkischen Klima, das in diesem Nürnberg auf dem Grünen Hügel herrscht, fand er die Glut, die später, im "Dritten Reich", die Krematorien benötigen sollten. Zwar tragen die Nürnberger hier Renaissancekluft im Stile Dürers, doch der Schoß war fruchtbar schon, und Hitler würde genau hier, in der Lieblingstrutzburg seiner monströsen Fantasien, irgendwann die "Rassengesetze" verkünden lassen.

Den Volkshass jedenfalls bekommt Beckmesser alsbald zu spüren, die Prügelfuge im zweiten Akt macht ihn zum Fall für die Unfallchirurgie, neben ihm fällt ein riesiger Luftballon mit typischer "Judenfratze" in sich zusammen und zeigt am Ende nur noch die Kippa mit dem Davidstern. Im dritten Akt, nach seinem schauerlichen Versuch eines Preislieds, wird Beckmesser stumm aus dem Saal geführt. Wohin?

Barrie Kosky zählt nicht zur Familie Wagner (die in Bayreuth auf die "Meistersinger"-Regie bislang ein Monopol hatte), und er ist Jude. Es war klar, dass er die Antisemitismus-Akte aufschlagen würde, und es war ebenso sicher, wen er auf die Anklagebank stellen würde: Richard Wagner. Oder eben Hans Sachs, der sich im dritten Akt im berühmten Schwurgerichtssaal der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse wiederfindet, wo er das Deutsche alsbald wort- und tonreich verteidigen wird.

Kosky macht keine Anklageschrift aus seiner Inszenierung, die politisch-weltanschauliche Botschaft läuft im Hintergrund ab, wie ein stummes Menetekel. Die Regie begibt sich als Holocaust-Mahnmal in Bildern, abstrakt, doch eindeutig. Den Rest fügt unser Restwissen aus dem Geschichtsunterricht hinzu.

Kosky zeigt uns somit großartig eine Oper als Kessel, unter dessen Deckel es mächtig gärt. Das Klima ist jenseits aller Butzenscheibenromantik aufgeladen, und wenn wir über diverse Gags der Inszenierung auch lachen, so bleibt doch ein würgendes Gefühl. Irgendwann wird an diesem Abend zwischen ehrbaren Zünften und reaktionären Seilschaften nicht mehr zu unterscheiden sein.

Gewiss gibt es Leerstellen, übertriebenen Kintopp, sogar Klamauk. Gewiss bleibt das detailreiche Spiel der Singschauspieler bis zum Ende lebhaft und pointiert. Doch die Meister beispielsweise sind Popanze; einer von ihnen fällt dem Stolzing schon im ersten Akt wie ein Hündchen vor die Füße, und man muss nicht zwingend in Neuschwanstein gewesen sein, um den Kriecher als Wiedergänger von Ludwig II. zu enttarnen.

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Foto: AFP/CHRISTOF STACHE

Überhaupt sind an diesem Abend denn doch zu viele Doubles unterwegs. Gewiss sah sich Wagner selbst als multiple Persönlichkeit, der mit einer Projektion allein nicht auskam. Aber dass in fast allem und jedem ein Wagner steckt, ist doch etwas viel Personenkult; man verliert aus der 25. Reihe ja auch leicht den Überblick. Und das Schlussbild, bei dem Sachs/Wagner auf der Bühne ein Pantomimenorchester dirigiert, ist albern.

Trotzdem ist der Abend für die Opernwerkstatt Bayreuth ein gewaltiger Gewinn, weil er mit Bildern und ohne rustikales Thesentheater einen Gedanken in uns verankert: wie gefährlich, schlimmstenfalls tödlich es sein kann, als Anderer in einer fremden, feindlichen Welt überleben zu müssen. Wagners Gedankengut war die Hefe solcher Verwerfungen, Kosky hat sie uns schmecken lassen, mit den Mitteln des theatralischen Schreckenstheaters, das im Ornat der Harmlosigkeit und Biederkeit seine Werkzeuge und Instrumente zeigt.

Apropos Instrumente: Das Festspielorchester ist wieder einmal der Star, ein großartig feinsinniges und doch auftrumpfendes Musizieren gewährt es uns; Philippe Jordan am Pult lenkt es famos durch die Häkelarbeiten der Partitur. Die Tempi sind zügig, niemals bräsig, Pathos kommt keine Sekunde auf. Als Begleiter ist Jordan exzellent, trotzdem zeigt Klaus Florian Vogt als Stolzing im dritten Akt Konditionsdefizite. Es gibt da erstaunliche Luftnot; gleichwohl bietet er den Abend über eine beeindruckende Leistung; sein leicht säuerliches, gleichsam gechlortes Timbre bleibt Geschmackssache.

Michael Volle als Sachs ist ein Prachtkerl, ein Bühnenbeherrscher mit Saft und Kraft in der Stimme. Johannes Martin Kränzle gibt und singt den Beckmesser als scharfsinnigen, linkischen Geächteten, der indes das Zeug zum Gewinner hat, wenn Wagner ihn nur ließe. Anne Schwanewilms entzückt als süßstimmige und höhensichere Eva. Grandios der Chor.

Das Publikum ließ sich diese Lehrstunde, die nur im ersten Moment nicht schmerzte, gern gefallen. Großer Jubel mit den ortsüblichen Buhlawinen, die aber auch schon mal heftiger vom Hügel gerollt sind.

(goe)
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