Holsteins Top 100 Platz 10: "Wish You Were Here" von Pink Floyd

Düsseldorf · Jede Biografie hat ihre Lieder, jeder Mensch seine Lieblingsstücke. Unser Musikredakteur hat die 100 besten Songs der Welt zusammengestellt. Radikal subjektiv, versteht sich – sonst macht es keinen Spaß. Im zweiten Teil der Serie gibt es Platz zehn.

Jede Biografie hat ihre Lieder, jeder Mensch seine Lieblingsstücke. Unser Musikredakteur hat die 100 besten Songs der Welt zusammengestellt. Radikal subjektiv, versteht sich — sonst macht es keinen Spaß. Im zweiten Teil der Serie gibt es Platz zehn.

Pink Floyd habe ich erst spät entdeckt, und anfangs interessierte mich ausschließlich die ganz frühe Phase der Bandgeschichte — die Single "See Emily Play" aus dem Jahr 1967 etwa und das im selben Jahr erschienene Debütalbum "The Piper At The Gates Of Dawn". Ich gehörte zu jenen, die meinen, dass Pink Floyd keine gute Musik mehr gemacht hätten, nachdem sie den psychisch kranken und drogenabhängigen Syd Barrett durch David Gilmour ersetzt hatten. Das indes war reine Behauptung, denn den Alben aus der klassischen Phase wie "Dark Side Of The Moon" (1973) hatte ich bis dahin keine Chance gegeben. Der Bombast schreckte mich ab, das Konzeptionelle, die Soli.

Irgendwann brachte mir ein Freund das Album "Wish You Were Here" (1975) mit, er spielte mir das Syd Barrett gewidmete "Shine On You Crazy Diamond" vor, und da begann ich zu begreifen. Genau genommen habe ich auf Platz 10 also ein Album geschmuggelt, denn das Lied "Wish You Were Here" darf man nicht aus dem Kontext reißen, man darf es nicht hören ohne "Welcome To The Machine" und "Have A Cigar", auch weil die Stücke ja ineinander übergehen.

Lied und dazugehörige Platte bilden einen eigenen Kosmos, man kann darin versinken, und angelegt ist die Musik so, dass sie ewig laufen könnte. Das Album beginnt und endet mit "Shine On You Crazy Diamond", es ist wie eine Schleife aufgebaut. "Remember when you were young" lautet der erste Vers, das Album läuft da schon neun Minuten. Diese Zeile gibt für mich die Stimmung vor, denn ich höre die Platte als Hommage an die Vergangenheit, als Wehmutsoper. Es ist die alte Klage über den Abschied von der Jugend. Im Mittelpunkt steht Richard Wrights Keyboard, und es ist für mich auch beim x-ten Hören unfassbar, wie David Gilmour seine Gitarre spielt: wie durch ein Kilo Dämmwolle hindurch. Erinnerung, sprich.

Die Musik schwillt an und ab, mit jedem Rhythmuswechsel variiert die Band die Stimmung. Das ist eine perfekte Platte, überall findet man großartige Details. Allein der Beginn des Songs "Wish You Were Here": Jemand dreht an einem Radio, er hört die ersten Takte des Lieds, spielt sie auf der Akustik-Gitarre mit, und erst dann setzt das eigentliche Lied ein.

Gilmours Wärme und Waters' Wahnsinn waren hier ideal austariert. Auf die Wolkenmalerei in "Shine On" folgte die Wut von "Welcome To The Machine". So wurde es nie kitschig oder vertrackt. Alles ist zielführend, und am Ende schafften sie es tatsächlich, die Zeit anzuhalten: Die Platte beginnt von Neuem, sie erreichten die Ewigkeit. "We are just two lost souls / Swimming in a Fish bowl / Year after year."

"Wish You Were Here" steht in dieser Liste für Perfektion und reine Schönheit. Das verquere "The Wall" (1979) bedeutet mir nichts, ich glaube, man muss dem Album bei Erscheinen begegnet sein, um es lieben zu können. Ich mag von Pink Floyd neben "Wish You Were Here" noch "Meddle", die Soundtracks "More" und "Obscured By Clouds" sowie nach wie vor das Debüt.

(RP)
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