Zwei Jahre nach Blumfeld Jochen Distelmeyer solo in Essen

Essen (RP). Der macht jetzt bestimmt Folk, hatte man gedacht, der kommt alleine mit seiner Gitarre. Wie Bob Dylan vor Beginn seiner elektrischen Phase würde er dastehen, dachte man, bisschen bessere Klamotten vielleicht, aber genau so irritierend und weißnichtgenau.

 Der großartige Jochen Distelmeyer ist zurück

Der großartige Jochen Distelmeyer ist zurück

Foto: PR

Aber so war es nicht im "Grend" in Essen, sondern ganz anders: Vier-Mann-Band, Haare länger, brutal laut, manchmal mit drei Gitarren auf dem Weg zum Himmel, aber textlich so nah an den Versammelten und ihrer Gegenwart und Gedankenwelt, dass es gar nicht anders ging, dass man denken unbedingt musste: Mensch, was hast Du uns gefehlt!

Jochen Distelmeyer ist zurück. Der Sänger, der seine Band Blumfeld vor zwei Jahren überraschend auflöste, dieses Projekt zur textmusikalischen Erhellung des Lebens und Erklärung der Liebe. Im September erscheint die erste Solo-Platte, "Heavy" betitelt, und für die im November anstehende Tour spielt sich das Idol der Oberseminare, der Diskurs-Poet und Chef-Sardoniker, der Innenwelt-Verkehrer und beste Liedermacher des Landes schon mal warm ­ zunächst im Hinterland: Hannover, Freiburg, Essen.

Distelmeyer beginnt mit Neuware, dafür sind die meisten gekommen: Was macht er jetzt wohl? "Wohin mit dem Hass", singt er, das Stück erinnert kurz an "Heroes" von David Bowie, wird dann zum Klopper, vom Schlagzeug gnadenlos in die Uneindeutigkeit getrieben. Da brennen die Autos, bloß nicht "fühlen nach Vorschrift", das ist die Revolution, "alles, was ich weiß: Ich bin nicht wie ihr."

Der nächste Song heißt "Einfach so", ist auch neu: "Manchmal denk‘ ich, ich sollte mir ne Knarre kaufen und damit durch die Innenstädte Amok laufen." Zwei Drittel des Programms bilden Blumfeld-Songs, in beschleunigten, im Stahlbad gehärteten Versionen: "Diktatur der Angepassten", "Viel zu früh und immer wieder: Liebeslieder", "Eintragung ins Nichts", "Mein System kennt keine Grenzen".

Das Konzert klingt nach der zweiten Blumfeld-Platte "L'Etat et moi", rau und unbehauen, aber die Verse der neuen Stücke sind klarer, weniger verspielt und vertrackt, krass ichbezogen, dennoch mit der bekannten verblüffenden Wendung zum Ende hin - ­ Distelmeyer-Biege, könnte man dazu sagen. Die letzten Strophen führen ein Lied ad absurdum oder wagen die Flucht jenseits der Deutungshoheit.

Am schönsten zeigt Distelmeyer seine Fähigkeit am Ende dieses tollen Konzerts, mit einem wunder-baren Stück, das "Murmeln" heißt und vielleicht doch Folk ist, der Folk der digitalen Unbehaustheit: "Ich bin am Ziel. Ich weiß, was ich will und brauche nicht viel. Ich bin da, wo die Kinder spielen, und über uns der Zeppelin. Am Ende ist es nur ein Song, und ich flieg' davon."

(fb)
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