Lemmy Kilmister † Rock 'n' Roll ist tot

Düsseldorf · Menschen wie Lemmy Kilmister sind wichtig, denn sie fungieren als Stellvertreter, indem sie das Leben führen, das man sich selbst nicht zu führen getraut.

Die besten Sprüche von Lemmy Kilmister
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Foto: dpa, pk ak bjw

Menschen wie Lemmy Kilmister sind wichtig. Sie fungieren als Stellvertreter, indem sie das Leben führen, das man sich selbst nicht zu führen getraut. So einer wie Lemmy muss immer da sein, denn wenn er da ist, kann man über ihn reden, von ihm schwärmen und seine Konzerte erleben. Und dann geht für die Dauer eines Liedes oder eines Abends ein bisschen was von seiner Wildheit, von seinem Krass- und Anderssein und von seiner Freiheit auf uns Angestellte und Mietezahler über. Nun ist dieser Kerl kurz nach seinem 70. Geburtstag gestorben, er ist nicht mehr da, und wir sind allein.

Es gibt nicht mehr viele von seinem Schlag. Ian Fraser Kilmister wurde am Heiligen Abend des Jahres 1945 als Sohn eines Feldkaplans der Royal Navy und einer Bibliothekarin im britischen Stoke-on-Trent geboren. Das ist keine schöne Stadt, aber zum Glück gab es den Rock 'n' Roll, der machte alles bunt. Kilmister hörte Eddie Cochran und Little Richard, er hat die Beatles noch live gesehen, und als Tour-Gehilfe besorgte er Jimi Hendrix Drogen. Er musste immer ein Paket mit zehn Pillen besorgen, wovon ihm Hendrix dann drei abgab, berichtete Kilmister in dem Dokumentarfilm "Lemmy". Als "Gehirnbomben aus den berühmtesten Laboratorien der abendländischen Chemie" bezeichnete er, was er da schluckte.

An die Zeit mit der Space-Rock-Band Hawkwind, zu der er 1971 stieß und mit der er 1973 den Hit "Silver Machine" hatte, konnte er sich denn auch nur mehr fragmentarisch erinnern. Als sicher gilt jedoch, dass damals sein Kosename entstand: "Lend me a quid 'til Friday", soll er zu seinem Manager des Öfteren gesagt haben, "leih mir einen Vorschuss bis Freitag", und wenn ein benebelter Mann aus Stoke-on-Trent mit Zigarette zwischen den Lippen "Lend me" murmelt, hört sich das wie "Lemmy" an.

Motörhead gründete er 1975, der Name der Band war der Titel einer von ihm geschriebenen Hawkwind-B-Seite gewesen. Motörhead sollte ein Rache-Projekt sein, denn bei Hawkwind hatten sie ihn wegen seiner Drogen-Eskapaden hinausgeworfen, und nun wollte er es ihnen zeigen. Mit Motörhead wollte er der Welt was auf die Nase geben, er wollte laut und schmutzig klingen, hart und schnell, und all das gelang direkt und tadellos. Motörhead gelten als Gründungsväter des Heavy Metal im Allgemeinen und des Speed Metal im Besonderen. Ihr Einfluss ist enorm, Metallica etwa gäbe es ohne Motörhead gar nicht, und man muss sich nur mal die Stücke "Overkill" und "Ace Of Spades" anhören, dann weiß man, wie das Wort Geschwindigkeit buchstabiert werden muss.

Das Wunderbare an Motörhead war nun, dass man in ihren Konzerten irgendwann aus dem Zustand heraustrat, in dem man die Musik als Krach wahrnahm. Kilmister stand da oben und hatte den Ständer des Mikrofons so eingestellt, dass es ihm wie von einem Galgen ins Gesicht hing. Man hörte nur Laute, keine Wörter, da grunzte sich einer Unmut und Hader aus den Eingeweiden, und es könnte sein, dass in Lemmys Hals keine Stimmbänder waren, sondern nasse Schiffstaue schlackerten. Sein Bass schrie dazu, wie man halt schreit, wenn man seit 30 Jahren von langen Fingernägeln traktiert wird. Bald fühlte man sich inmitten dieses infernalischen Wahnsinns tatsächlich geborgen, der Lärm legte sich wie eine wärmende Decke auf die Seele. Man stand lächelnd und mit halb gesenkten Lidern da, und es war, als lebte man unter Wasser. Zeit und Raum spielten keine Rolle mehr. Motörhead war Erlösung.

Ihr Sänger und Bassist, der ein recht dorniges Äußeres pflegte und so finster dreinschaute, als hätte er eben das Bewerbungsgespräch bei "Jack Daniel's" in Tennessee verpatzt, war in Wirklichkeit ein feiner Kerl und Menschenfreund. Ein Schönheitssucher. Der Mann schrieb im Job Lieder wie "Orgasmatron", hörte daheim in seinem Zwei-Zimmer-Apartment in Hollywood aber lieber Bach. Und während der sieben Monate, die er jedes Jahr auf Tour verbrachte, hatte er stets einen randvollen E-Reader bei sich. Es gibt ein wunderbares Interview, in dem er vom Kinderbuch "Winnie Puuh" schwärmt. Lemmy war als Person ebenso wichtig wie als Musiker, vielleicht sogar noch wichtiger. Bela B. von der Band Die Ärzte verglich ihn in seinem Vorwort zu Lemmys Autobiografie mit Johnny Cash, Elvis und Frank Sinatra: "Lemmy ist das personifizierte Gewissen des Rock ‘n' Roll. Auf Lemmy kann man sich verlassen."

Lemmy Kilmister – Bilder aus dem Leben des Motörhead-Frontmanns
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Foto: dpa

Zuletzt ging es ihm nicht mehr so gut, aber auch nicht so schlecht, wie es jemandem nach Jahrzehnten mit Suff und Drogen-Missbrauch gehen könnte. Lemmy hatte Herzprobleme, Diabetes und vieles mehr, und man schmunzelte, als er sagte, dass er der Gesundheit zuliebe von Whiskey auf Wodka umgestiegen sei. Er tat einem zugleich aber auch sehr leid. Bis zuletzt trat er auf. An Weihnachten bekam er dann die Krebsdiagnose. Zwei Tage später war er tot.

Wegen solcher Leute wie Lemmy Kilmister hört man Musik, wegen solcher Leute kommt man nicht mehr los von der Musik, denn solche Leute lehren einen, dass es bei Musik nicht bloß ums Hören geht, sondern ums Fühlen und Erleben. Er ging für uns durch die Hölle, reinigte unsere Leben; er sandstrahlte die Welt mit Lärm. "We are Motörhead und we play Rock 'n' Roll", so lautete die Eröffnungsformel jedes Konzerts. Das Einzige, was ihn davon abhalten könne, Musik zu machen, sei der Tod, hat er mal gesagt.

Rock 'n' Roll ist tot, die Welt ist jetzt still, und Stille ist grausam. Wer ihm einen Gefallen tun möchte, sollte das Live-Album "No Sleep 'Til Hammersmith" aus dem Jahr 1981 auflegen und bei "Bomber" einen Gruß gen Himmel schicken. Wer sich selbst einen Gefallen tun möchte, schließt danach einfach für einen Moment die Augen und lächelt.

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