Nachruf Leonard Cohen — der Sänger der Sehnsucht ist gegangen

Düsseldorf · Leonard Cohen ist 82-jährig gestorben. Er war einer der größten Songschreiber aller Zeiten. Vor wenigen Wochen erst hat er eine seiner besten Platten veröffentlicht. Sie war voller Vorahnungen.

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Foto: rtr, MA/AL/HK

Man wacht auf mit dieser traurigen Nachricht, und es läuft einem gleich eine Gänsehaut über den Rücken, denn natürlich erinnert man sich sofort an diesen Song von seiner aktuellen Platte. "Hineni, Hineni!", ruft Leonard Cohen da auf Hebräisch. "Hier bin ich!", heißt das, und es sind die Worte, die Abraham sprach, als Gott ihm befahl, seinen Sohn zu töten. "I am ready, my Lord", schickt Cohen hinterher. Ich bin bereit, mein Gott.

Leonard Cohen ist gestorben, er wurde 82 Jahre alt. Er war einer der größten Songschreiber aller Zeiten, und ganz sicher der größte, wenn es um die Liebe geht, um die Atmosphäre, die entsteht, wenn Mann und Frau beieinander sind. Cohen war der Sänger des Begehrens und der Sehnsucht. Und es ist so enorm wichtig, dass es solche Leute gibt, weil sie klar vor sich sehen, was die meisten nur ahnen oder fühlen: die Wahrheit nämlich, und indem sie Worte dafür finden, können auch alle anderen verstehen und begreifen.

Cohen hat Bilder und Begriffe gefunden für etwas Vages, für ein Aroma. Leonard Cohen hat in seinen Liedern das Menschsein präzisiert, und er hat die Menschen damit einander näher gebracht. Es gibt kein größeres Lied über das Verwehen der Liebe als "So Long, Marianne": "I forgot to pray for the Angels/And then the Angels forgot to pray for us." Es ist keine allzu steile These, wenn man sagt, dass es keinen anderen Musiker gibt, zu dessen Liedern so viel geweint wird wie zu denen Cohens. Man hört das und denkt: Das bin ja ich.

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Cohen wurde in eine jüdische Familie in Montreal geboren, sein Urgroßvater väterlicherseits hieß Lazarus, der Vater der Mutter war Talmud-Gelehrter. Cohen hat immer schon mit den letzten Angelegenheiten kokettiert, er wirkte stets, als habe er Dinge gesehen, die wir nie sehen werden. In seinen Liedern ging Jesus über das Wasser, man denke nur an "Suzanne", und natürlich war das oft Pose, aber Cohen lächelte so schön dazu, außerdem ist Charme ja immer auch ein bisschen Gaunerei.

Zunächst war er Schriftsteller, er war schon erwachsen, als er Musik zu machen begann, ein Mann von 33 Jahren. Es waren die 60er Jahre, als die Welt irgendwie jünger anmutete als je zuvor, voller Aufbruch und Hoffnung. Er war ein dunkel umflorter Wanderer, er diffundierte immerzu. Er zog auf die griechische Insel Hydra und lebte mit Marianne Ihlen, seiner Muse, der er "Hey, That's No Way To Say Goodbye" widmete. Er ging fort und lebte in New York und liebte Janis Joplin und Joni Mitchell, aber er blieb nie lange, denn er war auf hohem Niveau unbehaust. Und obwohl er das Weltliche genoss, schien er sich doch anderswo aufzuhalten, an einem Ort, von dem aus man die Zukunft besser sehen konnte.

Schutzengel emotionaler Versehrtheit

Cohens Lieder verbinden sich mit dem Geschmack jener Zeit, als das Leiden unbestimmt war, aber das Heilverfahren konkret: Love is all you need. Cohens Lieder liefen, als alles ein einziges Beginnen war. Er sang, als man sich das erste Mal verliebte und die Liebe verlor und es weh tat, und er war dabei, als man sich wieder verliebte und sich vornahm, dieses Mal vorsichtiger zu sein, und es doch nicht schaffte.

Cohen war der Schutzengel emotionaler Versehrtheit. Lieder wie "Bird On The Wire" öffnen sich zu intimen Seelenlandschaften und intensiven Gemütszuständen von Zärtlichkeit, Schmerz, Lust und Trauer. Der Mensch, das lernen wir bei Cohen, ist das einzige Lebewesen, das immer etwas stattdessen tut, und meistens bleibt das Richtige dabei die ungewählte Option.

In den 90er Jahren ließ er sich in einem buddhistischen Kloster zum Mönch ausbilden. Als er zurückkehrte, hatte seine Managerin sein Vermögen veruntreut, die Rede ist von einem dreistelligen Millionenbetrag. Cohen musste wieder auf Tournee gehen, und das war ein Glück, denn die Konzerte dieses Mannes, der nun reiner Geist zu sein schien, waren Messen, sie dauerten bisweilen drei Stunden und mehr, und auf der Bühne kniete Cohen. Er nahm den Hut ab, es war eine Feier der Courtoisie, und über ihm stand die Erinnerung an ein jüngeres Ich, da war ein Zusammengehörigkeitsgefühl, und am Ende fühlte man sich gereinigt wie nach einer Beichte.

Vor wenigen Woche erst hat er eine seiner besten Platten veröffentlicht. "You Want It Darker" ist sein Testament, die Welt ist darauf von der Dämmerung getönt, die Umrisse der Dinge beginnen sich aufzulösen. "Es ist zu Ende, blas die Flamme aus", singt Cohen. Gott ist der Aufforderung gefolgt. Nun ist alles schwarz.

Leonard Cohen ist tot, in der Luft hängt ein verlängerter Gedankenstrich. Das Tröstliche ist, dass er vorbereitet war, mit sich selbst im Reinen. Sein Werk ist populärer denn je, und was er gemacht hat, wird sich nicht versenden, es sedimentiert. Es setzt sich fest und formt ein Bild, das deutlich vor uns steht. Darauf zu sehen ist ein Mensch.

(hols)
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