Matthias Reim "Irgendwann dachte ich, der geilste Songschreiber aller Zeiten zu sein"

Im Sommer 1990 verdrehte Matthias Reim mit dem Song "Verdammt, ich lieb dich" Deutschland den Kopf. Im Gespräch erzählt er, wie lange die Schlange bei den Autogrammstunden war, warum er keine Jeans mehr kaufen konnte und weshalb ein Kasten Bier seinen größten Hit verhindert hätte.

 Matthias Reim hat noch immer oder wieder das Selbstbewusstsein von 1990.

Matthias Reim hat noch immer oder wieder das Selbstbewusstsein von 1990.

Foto: dpa

Wen lieben Sie da eigentlich in "Verdammt, ich lieb dich" beziehungsweise nicht?

Matthias Reim Diese Person ist eine Fiktion, aber es ist nahe an der Realität. Das Verhältnis zu meiner Frau war damals nicht mehr das beste. Ich habe einfach die Situation beschrieben, in der ich mich befand.

Weshalb haben Sie den Song geschrieben?

Es war die Situation, die den Song geschrieben hat. Ich wohnte in Göttingen, es war die Nacht vor meinem Geburtstag, der 25. November 1989. Ich bin in jedem Jahr dankbar, dass an dem Abend keiner meiner Kumpels mit einem Kasten Bier vorbeigekommen ist. Sonst hätte ich den Song nie geschrieben.

Was ist an dem Tag vorgefallen?

An diesem Tag bekam ich die Absage einer Plattenfirma. Ich hatte ein ganzes Album für Bernhard Brink geschrieben und produziert. Der wechselte während der Produktion das Label. Es rief mich dann also ein Manager der Plattenfirma an und sagte über meine Stücke: "Diese Ich-lieb-dich-ich-lieb-dich-nicht-Nummern sind so eine verdammte Kacke. Das will keiner mehr hören." Diese Worte schrieb ich mit, leicht panisch, weil ich wusste, ich würde Probleme bekommen, meine Miete und mein Studio abzubezahlen. Dann legte er auf, und ich sah auf diese Zeilen: Ich lieb dich, ich lieb dich nicht, verdammte Kacke. Und das war's. Ich drehte mich nur noch um zu meinem Keyboard, C-Dur, verdammt ich lieb dich, G-Dur, ich lieb dich nicht... Der Text war in zehn Minuten fertig. Als ich um Mitternacht 32 wurde, stand der Song.

Warum haben Sie das Lied nicht wie zuvor andere Künstler singen lassen?

Ein Kumpel hat mir gesagt: Das kann kein anderer singen. Wir sind dann zur Plattenfirma gegangen, und die sagte: Gebt das doch dem Jürgen Drews, das sind 10.000 sicher verdiente Mark. Ich war so blank, dass ich aufgesprungen bin und ja gesagt habe. Zum Glück hat mein damaliger Mitarbeiter gesagt: Nö, das machen wir selbst.

Weiß Jürgen Drews, dass ihm dieser Song entgangen ist?

Matthias Reim wirbt für Sixt
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Foto: Jung von Matt für Sixt

Ja, das weiß er. Er hat gesagt, dass es mit ihm kein so großer Hit geworden wäre. Ich war ein komplett ungestempeltes Blatt. Ich war weder Schlagersänger noch Rocksänger noch Punksänger. Ich war ein Name aus dem Nichts. Jeder konnte sich also auf das Lied einlassen, ohne sich zu schämen. Deshalb hatte ich auch keinen Song mehr, der an den Erfolg herangereicht hat. Bald galt ich dann als Schlagersänger. In den ersten zwei Jahren habe ich meine Fans komplett aus der Bravo rekrutiert. Die haben sich dann leider bald New Kids On The Block als Idol genommen.

Mit wie viel Alkohol haben Sie die Nr. 1 gefeiert?

Ich habe mit Alkohol nicht viel am Hut. Ich trinke nur, wenn es dunkel ist, und dann nur Bier. Da geht ab einem gewissen Punkt nichts mehr rein. Alkohol hat mich auch nie trösten können, wenn mal etwas schiefging.

Wie geht ein völlig unbeschriebenes Blatt mit so einem Erfolg um?

Das war unglaublich schwierig. Das Ding ging ja auch nicht mehr runter von der 1. Im Sommer 1990 war Deutschland im WM-Rausch und im "Verdammt, ich lieb dich"-Rausch. Jeder hat es gehört, gesungen und gekauft. Wir hatten Verkaufszahlen von 60.000 bis 70.000. Pro Tag. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich Geld verdiene. Ist ja klar, dass man dann etwas verrückt wird.

Auf welche Art sind Sie verrückt geworden?

Linda Hesse - frecher Stern am Schlagerhimmel
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Vorher war ich ewiger Student mit einem kleinen Tonstudio und einem uralten Ford Sierra. Der musste erst mal weg. Ich habe ihn eingetauscht gegen einen Jahreswagen, einen 500er Mercedes SL. Und dann saß ich drin und dachte: Du sitzt tatsächlich in einem Mercedes. Und dann ging es sehr schnell. Meine Ehe flog mir um die Ohren, ich zog nach Hamburg und verliebte mich in meine Chorsängerin. Das Resultat dieser Liebe ist heute 18 und lebt in meinem Haus.

Plötzlich waren Sie berühmt.

Das Leben wurde schwierig. Im Juni hat die Plattenfirma gesagt, wir sollten mal eine kleine Autogrammstunde in Hamburg im Kaufhof machen. Ich habe nie verstanden, warum die Leute von mir eine Unterschrift haben wollten, denn innendrin war ich das nicht, was da draußen mit mir abging. Ich dachte, ich habe bloß ein Lied gemacht, ich habe das nicht verdient. Und dann komme ich da hin, und es ist Polizei da, die Straße ist abgesperrt, weil die Leute nicht nur auf diesen vier Rolltreppen anstanden, sondern noch 500 Meter auf der Straße. Da bekam ich Panik. Ich dachte: Wir stehen hier in vier Tagen noch. Dann habe ich losgeschrieben. Und die Leute, die ein Autogramm bekommen hatten, haben sich wieder angestellt. Um das Wunder noch mal zu sehen. Aber ich war kein Wunder.

Sie konnten ja gar nicht mehr vor die Tür gehen.

Wenn ich mir eine Jeans kaufen wollte, hatte ich innerhalb von fünf Minuten 35 schreiende Teenies hinter mir im Kaufhaus. Ich habe mich dann immer bei den Verkäuferinnen entschuldigt. Unser Haus war 400 Meter von einem Gymnasium entfernt. Der eigentliche Pausenhof war mein Gartenzaun. Da lungerten dann 200 Teenies rum. Ich kam gar nicht mit meinem Auto raus. Die haben immer geschrien. Und ich habe mich gefragt: Warum schreien die immer?

Sind Sie geflohen?

Wir sind für ein paar Tage nach Florida geflogen, und dort stand ich am Hafen plötzlich vor einem Boot, das für 120.000 DM zu verkaufen war. Groß genug, um sich in den Ferien darauf zurückzuziehen. Das habe ich mir dann genau deshalb gekauft. Es gefiel mir so gut, dass ich nach Florida gezogen bin. Rein wirtschaftlich war das unklug, weil ich zu weit weg war von den Fans. Aber es war einfach eine Ausnahmesituation.

Was haben Sie den Sommer über gemacht?

Eine Fernsehsendung nach der nächsten. In einem atemberaubendem Tempo. An Urlaub war für eine Nr. 1 nicht zu denken. Es war ein Sommer auf Adrenalin. Ich kam mir vor wie ein Luftballon im Weltraum, der an einem seidenen Faden gehalten wird. Ich merkte auch, dass ich mit Interviews überfordert war. Wenn die Bildzeitung fragte: Ihre Ehe ist kaputt — warum? Dann sagte ich: Wir haben uns auseinandergelebt. Dann fragten sie ganz geschickt: Was war denn das Hobby Ihrer Frau? Und ich sagte: Ihr Pferd "Mon Coeur" — Reiten Sie? Nein, das ist nicht mein Fall. Am nächsten Tag stand in der Zeitung: Ehe kaputt — alles aus wegen "Mon Coeur". Woraufhin sich meine Frau am Telefon beschwerte, dass ich das Pferd zum Sündenbock gemacht hätte.

Wie geil fanden Sie sich selbst 1990?

Irgendwann war ich tatsächlich der Meinung, dass jede Zeile und jeder Song, den ich schreibe, genial ist. Weil alle das genial finden. Das war ein unglaublicher Irrtum. Es gab niemanden, der mich kritisiert hat. Denn jeder Mitarbeiter, der den Reim kritisiert, der war ja kurz vor dem Rausschmiss. Die wollten ja auch, dass ich den Vertrag verlängere. Das heißt, mir wurde nur noch nach dem Mund geredet. Es gab nur noch ein "Ja, Meister".

Wann haben Sie die Bodenhaftung verloren?

Die habe ich nie ganz verloren. Es sah von außen nur so aus. Wenn ein Fernsehteam nach Florida kommt, dann bietet man denen eben bunte Bilder, dann setzt man sich vor einer Palmenallee auf den schwarzen Straßenkreuzer. Der allerdings nur dreitausend Dollar gekostet hat und zehn Jahre alt war, aber gut aussah — das war in den USA wie in Deutschland ein Opel Rekord. Aber in Deutschland kam es ganz anders an. Die dachten, jetzt hebe ich ab.

Aber ein bisschen abgehoben sind Sie doch schon.

Klar, irgendwann dachte ich, der geilste Songschreiber aller Zeiten zu sein.

Sie haben in einem Interview gesagt, Ihre ersten Konzerte seien furchtbar gewesen.

Ich hatte ja nur ein Album mit 39 Minuten. Das mussten wir strecken bis zum Gehtnichtmehr. Ich wusste doch damals nicht, wie Konzert geht.

Was haben Sie denn da gemacht?

Wir mussten mindestens dreimal "Verdammt, ich lieb dich" singen. Dann haben wir gecovert. Aus "Power Of Love" von Huey Lewis And The News habe ich "Die Kraft, die mich schafft" gemacht, eine grauenhafte Zeile.

Ich hatte Sie fragen wollen, ob Sie im Sommer 1990 treu geblieben sind — offensichtlich nicht, denn Sie haben sich von Ihrer Frau getrennt. Sind Sie denn der Chorsängerin treu geblieben?

Erstmal. Wir waren ja sieben Jahre zusammen. Ich bin gar nicht so ein Schlawiner. Verliebt, verlobt, verheiratet. Der ganze normale Weg auf der Suche nach dem ewigen Glück.

Ich las bei Wikipedia den recht beeindruckenden Satz, dass Sie sechs Kinder von fünf Frauen haben. Das gelingt auch nicht jedem.

Sagen wir es mal so: I came around.

Wie haben Sie sich 16 Wochen auf der 1 gehalten — war die Konkurrenz so schwach?

Es gab da diesen Song "Black Velvet" von einer Kanadier namens Alannah Myles, eine Riesennummer, die die ganze Zeit auf der 2 rumhing. Und ich dachte nur: Bitte, bitte, schaff es nicht. Später habe ich die in Kanada getroffen und mich vorgestellt. Da sagte sie: Ach, du warst das Arschloch!

Haben Sie damit gerechnet, dass Ihre erste Nummer 1 auch Ihre letzte sein würde?

Natürlich. Eine Nr. 1 ist schon schwer. Und bei der zweiten Single "Ich hab geträumt von dir" hatte ich schon den Stempel Schlagersänger. Ich hab die Songs immer zuerst meiner Mama vorgespielt, und die hat mich dann mit ihrem spitzen Mund angeguckt und gesagt: Matthias, ein "Verdammt ich lieb dich" ist das nicht. Und ich sagte: "Ich weiß, Mama."

Können Sie "Verdammt, ich lieb dich" überhaupt noch ertragen?

Er ist noch immer ein Schlüssel zu den Herzen. Der Sommer 1990 hat mir eine diamantene Kreditkarte für ein ganzes Leben gegeben. Wenn die Welt untergeht und es ist nichts mehr da, bloß ein Lagerfeuer mit ein paar Leuten am Horizont, die überlebt haben — also wenn ich dann mit meiner Gitarre dahingehe, werden die Leute sagen: Wir haben noch einen Braten und ein Fass Bier, dafür spielst du "Verdammt, ich lieb dich". Dieser Song ist nie untergegangen.

Wann haben Sie "Verdammt, ich lieb dich" zuletzt gehört?

Das wird so vor drei oder vier Tage im Autoradio gewesen sein.

Haben Sie den Sender gewechselt?

Nein, ich freue mich jedes Mal. Aber wenn ich die Fenster aufhabe, mache ich die schnell zu. Stellen Sie sich vor, Matthias Reim fährt an Ihnen vorbei und aus dem Wagen schallt die 25 Jahre alte Version von "Verdammt, ich lieb dich".

(seda)
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