Autobiografie Phil Collins — eigentlich ein feiner Kerl

Düsseldorf · Wenige Superstars wurden so belächelt wie der nun 65 Jahre alte Phil Collins. Aber jetzt sollten wir zu ihm halten – er braucht uns.

 Phil Collins im USTA National Tennis Center in Flushing Meadows, New York (Archivbild vom 29. August 2016): Sorry, Phil!

Phil Collins im USTA National Tennis Center in Flushing Meadows, New York (Archivbild vom 29. August 2016): Sorry, Phil!

Foto: dpa, msc csa gfh

Wenige Superstars wurden so belächelt wie der nun 65 Jahre alte Phil Collins. Aber jetzt sollten wir zu ihm halten — er braucht uns.

Phil Collins hat seine Autobiografie geschrieben, und wer das Buch liest, will ihn ganz dringend in den Arm nehmen, drücken und "Sorry" sagen. Es war nicht immer leicht mit ihm, die 80er Jahre waren nicht zuletzt seinetwegen eine musikalisch mitunter heikle Angelegenheit, und egal, wann man das Radio anschaltete, es lief immer eine seiner weichgespülten Winseleien. "One More Night" zum Beispiel oder "Another Day in Paradise".

Selbst im Kino war man nicht sicher vor ihm: "Buster", "Hook", und bei "Miami Vice" trat er auch auf. Der Schriftsteller Nick Hornby war so genervt von der allgegenwärtigen Halbglatze, dass er eine Figur in seinem Roman "High Fidelity" dieses sagen ließ: "Mit Leuten, die Phil Collins gut finden, sollte man als vernünftiger Mensch nichts zu tun haben." Aber inzwischen denkt man anders, man hört sich die meisten Lieder mit 30 Jahren Abstand ganz gerne wieder an, sie sind ja auch verflixt gut gemacht. Phil Collins steht auf der guten Seite der Macht, das weiß man nun, er ist ja eigentlich ein feiner Kerl, und außerdem braucht er uns jetzt. Es geht ihm nämlich nicht so gut.

Phil Collins kann nur noch unter Schmerzen gehen, sein rechter Fuß ist taub. Er laboriert an einem Nervenleiden, Schlagzeug spielen kann er deshalb schon lange nicht mehr. Er kann nur noch auf einem Ohr hören, seine Wirbelsäule ist malad, und seine Knochen sind so mürbe, dass eine falsche Bewegung sie brechen lässt. Ins Grab gesoffen hat er sich auch beinahe.

"Ich falle Stück für Stück auseinander", schreibt Collins in dem Buch, das in Deutschland "Da kommt noch was" heißt und im Original den sehr lakonischen und zugleich sehr traurigen Titel "Not Dead Yet" trägt. Collins erklärt seinen körperlichen Verfall mit dem Raubbau, den er in seiner großen Zeit betrieb. Er ließ sich Mittelchen spritzen, um die Stimmbänder trotz großer Belastung fit zu halten, und erst später erfuhr er von deren Nebenwirkung: Sie greifen das Skelett an.

Die große Zeit, das waren die 80er Jahre. Im Schluffi-Outfit mit Turnschuhen, T-Shirt und Sakko drüber sang er seine Hits: "You Can't Hurry Love", "Don't Lose My Number", "Groovy Kind Of Love", "Two Hearts". Dazu die Stücke mit seiner Band Genesis: "Mama", "That's All", "Invisible Touch", "Land Of Confusion". Collins verkörperte, was es heute nicht mehr gibt: den Mainstream. Tatsächlich hat er das Talent, Stimmungen zu erzeugen, eine Melodie im richtigen Moment anheben zu lassen. Er ist ein kompositorischer Massenbeschwörer. Der große Verallgemeinerer. Er fürchtet nicht den Schwulst. Er kennt den Mechanismus, mit dem man die Härchen auf den Armen der Menschen aufstellt. King of Kitsch.

Und dennoch wurde er verachtet. Es gibt wenige Stars von diesem Kaliber, die so belächelt werden wie er. In der Geschichte des Pop gibt es ja überhaupt nur drei Künstler, die sowohl mit einer Band als auch solo jeweils mehr als 100 Millionen Platten verkaufen konnten. Neben Collins sind das Michael Jackson und Paul McCartney. Weit mehr als 100 Millionen Alben verkaufte Collins alleine, 150 Millionen mit seiner Gruppe Genesis. 1970 wurde er deren Drummer. Er arbeitete an den mächtigen LPs "Selling England By The Pound" ('73) und "The Lamb Lies Down On Broadway" ('74) mit.

Existieren schweißt zusammen

Dann verließ Sänger Peter Gabriel die Band, und mit Collins am Mikro wandelten sich Genesis von Rock-Avantgardisten zu Hit-Fabrikanten. Das nahmen ihm viele übel. Er war aber auch allzu gerecht, kratzbürstig, selbstgewiss. Zur Selbstironie neigte er nur, wenn er besonders professionell wirken wollte. Erst war das egal, denn alles, was er anfasste, wurde zu Gold. Dann aber kam die Jahrtausendwende, und das Album "Testify" wurde 2002 ein böser Flop. Eine englische Zeitung schrieb in ihrer Besprechung: "Phil Collins hat noch nicht gemerkt, dass wir seiner überdrüssig sind." Uff.

Zum Objekt des Spottes wurde er bei vielen am 13. Juli 1985. Da trat er bei Bob Geldofs überdimensioniertem Wohltätigkeitsfestival "Live Aid" auf, und zwar auf zwei Kontinenten. Erst spielte er mit Sting in London den Police-Klassiker "Every Breath You Take", aber er verhedderte sich im Text. Dann rutschte er bei seinem Song "Against All Odds" von der Pianotaste ab. Nachdem er per Concorde nach Philadelphia gejettet war, ging er dort vor einer Milliarde Fernsehzuschauer mit den wiedervereinten Led Zeppelin auf die Bühne, die indes einen rabenschwarzen Tag erwischten. Der Gig wurde ein Desaster, und fortan galt Collins als derjenige, der die größte Band des Rock beschädigt hat. Die Aufnahmen von damals hält die Gruppe bis heute unter Verschluss.

Aber wie es so geht: Je länger man mit einem Star lebt, je länger er die eigene Biografie begleitet, desto milder wird man im Urteil. Existieren schweißt zusammen. So liest man also, wie Collins, der in Londons Südwesten aufwuchs, früher selbst Fan war - zunächst Beatles, dann Stones und später Cream und Yardbirds. Wie er im "Marquee" in der ersten Reihe stand, als Jimi Hendrix dort am 24. Januar 1967 auftreten sollte. Aber Collins erlebte das Konzert nicht, weil er vor der ersten Note raus musste, um den letzten Zug nach Hause nicht zu verpassen.

Inszenierung von Gefühl, Pathos und Dramatik

Zwei Sachen beteuert er in diesem Buch mehrfach und nachdrücklich. Zum einen, dass er sich durchaus gut mit Peter Gabriel verstehe, der ja oft als sein Widersacher beschrieben wird. Wenn es nach Collins gegangen wäre, hätte Genesis nach Gabriels Abgang als Instrumentalband weitergemacht. Die Kollegen allerdings wollten Hits schreiben. Und: Die Sache mit Led Zeppelin tut ihm echt leid. Verkettung unglücklicher Zufälle, ein zweiter Schlagzeuger war auf der Bühne, der fuhr ihm in die Parade.

Schwamm drüber. Man legt noch einmal Collins' erstes Solo-Album auf, "Face Value" aus dem Jahr 1981. Es steht am Anfang eines Jahrzehnts, und es birgt alles, was die folgenden Jahre charakterisiert: Hingabe an den Moment, Inszenierung von Gefühl, Pathos und Dramatik. Es ist schlicht, aber wirkungsvoll. Pharrell Williams wurde jüngst gebeten, die Platte neu abzumischen, aber er lehnte ab: Das wäre Quatsch, sagte er, die Produktion sei perfekt. Und wer nun an den phänomenalen Trommelwirbel aus "In The Air Tonight" denkt, wird vermutlich nicken: "I've been waitin' for this moment for all my life. Oh Lord."

Er ist jetzt 65, und im kommenden Jahr geht er wieder auf Tournee, zum letzten Mal. Die Karten waren sofort weg, und wegen des enormen Zuspruchs gibt er nun allein in Köln fünf statt der geplanten zwei Konzerte. Also: Sorry, Phil Collins. Und: Schön, dass du da bist.

(hols)
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