Rihannas Album "Anti" Cinderella auf dem Pop-Olymp

Düsseldorf · Kein Album hat sich je so schnell so oft verkauft wie "Anti", die neue Platte von Rihanna. Sie ist eine Marke, und sie steht für Verweigerung und Lässigkeit. Dabei wirkt sie stets, als sei sie ganz zufällig an die Spitze gestolpert.

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Foto: afp, tm

Das ist alles so verrückt, dass man unbedingt über diese Frau reden muss, über Robyn Rihanna Fenty nämlich, die alle Welt Rihanna nennt. Ihr neues Album heißt "Anti", die 27-Jährige hat es vor einer Woche veröffentlicht, und es wurde innerhalb von 15 Stunden 1,4 Million Mal heruntergeladen, zudem 13 Millionen Mal gestreamt, also online angehört. Keine Platte wurde je so rasch so oft verkauft.

Rihanna ist mit Taylor Swift der erfolgreichste weibliche Popstar dieser Tage, aber es wirkt, als sei sie zufällig auf den Pop-Olymp gestolpert. Die anderen Damen, die da oben wohnen, Madonna etwa oder Beyoncé, sind verbissen, sie predigen Disziplin und leben das ayurvedische Null-Fehler-Powermenschentum. Sie arbeiten an der Definition ihrer Muskeln und füttern ihre Spiritualität, und wenn man aus ihren Konzerten kommt, fühlt man sich zu dick und defizitär.

Rihanna ist das Gegenteil, sie steht auf der Bühne herum, als habe sie trotz großer Hitze seit Tagen nichts getrunken. Sie wirkt überrascht, dass so viele ihr zuhören und dass die Musik tatsächlich ihre Musik sein soll. Sie würde viel lieber mit denen da unten feiern, aber sie bleibt oben, weil die Party sonst ja vorbei wäre. Oft hält sie das Mikrofon auf Kniehöhe, dann läuft halt das Playback. Manchmal versucht sie zu singen, was nicht immer gut klingt, aber live ist. Rihanna, schrieb das Magazin "New Yorker", ist der erfolgreichste Amateur der Welt.

Gerade das macht indes ihren Erfolg aus, so absurd das auch ist, aber der Multi-Millionen-Dollar-Lady Rihanna ist es gelungen, sich als Rebellin zu etablieren, als strassbesetzte Che-Guevara-Maske des Mega-Entertainments. Sie steht für die Verweigerung des Hochleistungsprinzips, und sie hat es geschafft, aus sich eine Marke zu machen, das Synonym für post-emanzipierte Lässigkeit. Sie macht aus Zitronen Limonade und aus Limonade Champagner. Ihre Lider senkt sie meist, damit sie nicht sehen muss, was sie nicht sehen will. Sie verbindet Mackertum und Mädchenhaftigkeit, Bordstein und Fernweh, Vulgarität und Grübchenseligkeit.

Sie wurde auf Barbados geboren, sie war 16, als ihr Mentor Jay Z sie nach New York holte, und seither lebt sie das Leben, von dem viele träumen. Sie schießt wie ein Sektkorken durch die Welt, und ihre 33 Millionen Instagram-Follower sehen sie heute beim Karneval in Rio, morgen beim Knutschen mit Leonardo DiCaprio und zwischendurch beim Kiffen in Amsterdam.

In jedem Song singt sie anders, sie kann meckern wie in "Umbrella", grooven wie in "Pon De Replay", quaken wie in "Work", schmeicheln wie in "California King Bed", den Himmel stürmen wie in "Diamonds" und abfahren wie in "S&M". Sie sagt, auf mich könnt ihr euch nicht verlassen, aber wenn ihr mir folgt, werdet ihr es nicht bereuen. Sie lässt sich nicht festlegen, Selbstbestimmung bedeutet bei ihr, unbestimmt zu sein, vage; und vielleicht ist sie der einzige Superstar, der keinen Unterschied zwischen Privatperson und Bühnenexistenz macht. Sie versucht gar nicht erst zu provozieren, weil man das 2016 eh nicht mehr kann, sie irritiert lieber.

Ihr immenser Erfolg sagt viel über unsere Zeit, es ist ein bisschen wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern, deshalb gilt sie als Stilikone, obwohl sie gar keinen Stil hat. Es ist immer teuer und meistens geschmacklos, was sie an hat, aber sie trägt alles mit interesseloser Neugier und einer Absichtslosigkeit, die man leicht mit Grazie verwechseln kann. Sie ist oft gut frisiert, aber selten vollständig bekleidet, und sie weiß, dass es für die Marke besser ist, einmal mehr in "InStyle" aufzutauchen als eine neue Platte zu machen. Schließlich ist sie Popstar und nicht Sängerin oder Musikerin.

Sie ist naiv, schamlos, unschuldig und obszön zugleich. Die meisten Popstars verteufeln irgendwann die Oberflächlichkeit, die ihnen zu Ruhm verhalf. Sie beginnen nach Tieferem zu graben und sich mit dem Dalai Lama zu verabreden. Vielleicht hat Rihanna auch mal gebuddelt, aber sie hat nichts gefunden. Sie geht ins Studio und singt Songs, die andere geschrieben haben. Ihre Hirnwindungen darf man sich vorstellen wie einen Haufen bunter Luftschlangen: In Interviews sagt sie nie etwas Kluges, sie spricht wie ein Mädchen im Cinderella-Traum. Sie ist der Weltstar mit der größten Volksnähe, sie hat sogar einen Kosenamen: "Riri" lautet er.

In den ersten sieben Jahren ihrer Karriere hat sie stets im November ein neues Album vorgelegt. Auf jedem fanden sich Teen-Pop-Hits, auf den Refrain ausgerichtete Fetenknüller. Nun hat sie sich drei Jahre Zeit genommen, dann "Anti" veröffentlicht, und darauf ist kein Hit, nicht mal mehr ein Refrain, bloß Atmosphäre und Textur, und das muss man sich erstmal trauen. "Anti" ist eine soulige Kifferplatte, ein R'n'B-Weltraumgleitflug. Erstmals hat Rihanna an fast allen Songs mitgeschrieben. "Anti" ist auf entrückte Weise charmant, aber unaufführbar, und das, obwohl Rihanna nun eine Welttournee beginnt. Die Firma Samsung finanzierte das Album vorab mit 25 Millionen Dollar, es war also egal, was herauskommen würde, wie ja heute ohnehin egal ist, was auf einem Album zu hören ist, solange der Künstler eine Marke ist.

Rihanna ist die wertvollste Marke im Pop. Sie ist kaum zu fassen, und das macht sie interessant. Hoffentlich wird sie nie erwachsen.

(hols)
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