Auf dem Roten Teppich Sehen und gesehen werden

Salzburg · In Salzburg oder Bayreuth beherrschen die hochsommerliche Garderobe und die öffentlichen Manieren die Festspiel-Atmosphäre.

Bayreuther Festspiele 2015: Angela Merkel kommt in blauem Blazer
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Bayreuth 2015: Und wieder kommt die Kanzlerin in einem blauen Outfit

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Es gibt hier viele, die beschwingt den Plätzen entgegendrängen, das Kreuz durchdrücken und sich ein faltenfreies Lächeln ins Gesicht rücken, denn es sind Fotografen in der Stadt. Die schwirren umher wie Kaufhausdetektive. Sie warten auf Stars. Diese Arbeit ist leicht und schwer zugleich. Dieser Tage ließ sich Anna Netrebko abends auf einen Salzburger Parkplatz nahe dem Festspielhaus kutschieren. Autos mit verblindeten Seitenscheiben sind wie Magneten für Fotografen. Die Sängerin wollte nicht gesehen werden, weil sie natürlich entdeckt werden wollte. Als sie ausstieg, rannten alle Fotografen und Smartphone-Besitzer los und verhielten sich wie Hyänen, die jedem das Blitzlicht neideten wie den Schlagobers auf dem Strudel.

Auch Katja Burkard möchte gesehen werden. Der Fernseh-Moderatorin mit den gipsern wirkenden Blondlocken gelingt es oft, einen Saal so spät zu betreten, dass sie erst kurz vor Beginn an der Hand ihres Lebenspartners Hans Mahr in ihre Reihe stolziert. Sie trägt dann ein imaginäres Transparent vor sich her mit der Aufschrift: Ich bin ein Star, guckt mich nur an! Vor der "Figaro"-Premiere begab sie sich etwas früher in ihre Sitzreihe, blieb aber stehen, reckte den Leib, fror ihr Lächeln ein und ließ Herrn Mahr, übrigens einen Wiener, mit dem Smartphone einige Bilder von sich machen. Es war unmöglich, sie zu übersehen. Absolut unmöglich.

Es gibt aber auch Neuigkeiten bei den Festspielen. So ist die Zahl der in Tracht gekleideten Besucher stark gestiegen. Dirndl hier, Lederhose dort: Dies ist nicht die Antwort der Gestrigen, sondern die Offensive der Fortschrittlichen. Die Besinnung auf die Herkunft muss nichts Muffiges haben. Es gibt hier Dirndl, die sogar in gewerblichen Bereichen nicht ohne Reiz wären.

Aus der Perspektive der Düsseldorfer Kö, die nicht inkompetent in Fragen des feschen Bussi-Bussi und eitlen Chi-Chi ist, muss man neidlos anerkennen, dass in Salzburg die Mode oft an ihre Grenzen gerät. Man kann ein Kleid nicht enger, kürzer und gewagter tragen als diese exotische Dame Mitte zwanzig, die über die Salzburger Hofstallgasse am Arm eines erheblich reiferen Herrn stöckelte, der vermutlich kein naher Verwandter war. Gewiss sind solche Gewandungen in rheinischen Opernpremieren oder Tonhallen-Konzerten die Ausnahme, aber die finden auch nicht im Hochsommer statt. Besteht da Änderungsbedarf?

Der Kunstsinn definiert übrigens den Unterschied zwischen Salzburg und Bayreuth. An der Salzach werden Stars nie angezweifelt, sondern verherrlicht, denn der Glanz, so hofft man, strahlt auf alle zurück. Am Hügel dagegen herrscht Rauflust. Die Pilgerstätte Bayreuth wird regelmäßig zum Parlament der Schreihälse, als müsse dem Tyrannen Richard die Demokratie zurückgegeben werden. Dass in Salzburg mal jemand Buh ruft, ist eine Ausnahme — es sei denn, Ikonen des Repertoires ("Rosenkavalier", "Don Giovanni") werden angetastet.

Peter Konwitschny: Bilder aus "Die Eroberung von Mexiko"
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Konwitschny inszeniert in Salzburg "Die Eroberung von Mexiko"

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Bayreuthianer sind allerdings nicht selten kunstkompetenter als Salzburg-Gäste. Wer sich freiwillig in die orthopädisch bedenklichen Sitzreihen des Bayreuther Festspielhauses quetscht, der besitzt eine Neigung zur Autoaggression. Die äußert sich bei manchen Pilgern bereits vor der Abfahrt nach Bayreuth durch das 34-malige heimische Abhören des vollständigen "Tristan". Solche Selbstschädigung führt zu schweren Syndromen und äußert sich im Ernstfall durch Schreie, wenn sich nach der Aufführung vor dem Vorhang natürliche Feinde (eigenwillige Regisseure, schwachbrüstige Tenöre) zeigen.

Den feineren, doch nicht minder schönen Salzburger Klängen (Mozart, Beethoven) mischen Damen oft einige unerwartet tiefe Frequenzen bei: Der Fächer als manuell betriebener Ventilator sorgt für sonores Brummen, als seien Hummeln freigelassen worden. Dummerweise scheren sich die Luftgierigen meist nicht um ihre Nachbarn, die nun das Gewedel im Blickfeld dulden müssen. In Bayreuth muss eine Fächerfrau befürchten, dass ihr das Ding aus der Hand geschlagen wird.

Salzburg posiert ohnedies immerzu mit seiner Gelassenheit; das öffentliche Treiben konzentriert sich auf die hufeisenähnliche Pflastermeile Getreidegasse - Wiener-Philharmoniker-Gasse — Hofstallgasse. Die Dezenz der Besucher wird nur von Flüchen unterbrochen, wenn eine Selfie-Stange wieder mal ins Gesicht eines Unbeteiligten geraten ist. Apropos Amateurfotografie: Die zahlenmäßig stärkste, doch auch leiseste Fraktion stellen wieder die Japaner. Salzburg hat unlängst erneut das touristische Rekord-Jahresvolumen von 25 Millionen Übernachtungen erreicht, woran die Asiaten einen hohen Anteil haben. Statistisch dürfte fast jeder reisefähige Japaner mindestens einmal in Salzburg gewesen sein, was die Rheinländer wohl nicht von sich sagen können.

In Salzburg weilen auch Stars von gestern, und es erfüllt einen mit Herzenswärme, wenn man Bianca Jagger am Stock zu den Premieren gehen sieht. Eine tapfere Lady! Anders dagegen die Schauspielerin Monika Peitsch, die beim Verlassen der Felsenreitschule den unnachahmlichen Satz an ihren Gatten, der hinter ihr ging, richtete: "Ich folge dir heute sogar!" Was meinte sie? Wie meinte sie es? Er ging nicht voraus, sondern dackelte im Schlepptau. Dieser Satz atmete Grandezza, doch schien er auch an alle Umstehenden gerichtet. Er war dazu bestimmt, gehört zu werden. Draußen auf der Hofstallgasse achtete sie darauf, dass sie — sehen und gesehen werden — wie zufällig in die Nähe von Fotografen geriet.

(RP)
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