Düsseldorf Sonic Youth überzeugt im 3001

Düsseldorf (RP). Das ist das Irritierende an dieser Band: Der radikale und für den Hörer oft schmerzhafte Wechsel von Anziehung zu Abstoßung. Da wälzt ein Song mit mitreißender Gewissheit zu Tal, man will sich hineinwerfen in die rot lockende Lava und in Flammen aufgehen. Doch plötzlich stoppen die Gitarren, zicken sich an, verschieben die Weiterfahrt und führen eine kleinlaute Diskussion über die Schönheit des Kakophonen. Das ist dann zwar immer noch faszinierend, aber eben in einem akademischen Sinn.

 Kim Gordon und ihre Band Sonic Youth spielten im 3001.

Kim Gordon und ihre Band Sonic Youth spielten im 3001.

Foto: afp

Bei ihrem Konzert im "3001", das die New Yorker Gruppe aus Anlass der aus dem Band-Besitz zusammengestellten Schau "Sensational Fix" in der Kunsthalle gab, präsentierten sich Sonic Youth vor allem als großartige Didakten. Überhaupt gibt es nur zwei Arten, ein Konzert dieser Gruppe zu erleben: von drei gleichzeitig verdroschenen Gitarren emporgehoben in den Himmel des Lärms. Oder zurückgeworfen auf die eigenen Gedanken über die Bedingungen des Ästhetischen.

Seit bald 30 Jahren gibt es das Quartett, und nach einer so langen Zeit besteht die Gefahr, dass aus Avantgarde Übereinkunft wird, dass der Widerstand gegen die Hörgewohnheit kanonisiert ist. Dem ist im Falle Sonic Youth jedoch nicht so, das wurde an diesem Abend nach wenigen Augenblicken klar. Thurston Moore, Kim Gordon, Lee Ranaldo, Steve Shelley und der für Konzerte angeheuerte Bassist Mark Ibold von Pavement deuteten schweren Krach an, begannen im selben Song alsbald mit dem Rückbau, pflegten den Minimalismus und ließen sogleich noch einmal die offen gestimmten Gitarren heulen und den Gesang von manischen Drums ans Ende des Stücks hetzen.

Man kann tatsächlich sagen, sie bewegten sich zunächst beinahe klassisch im Song-Schema. Unbeeindruckt und lässig standen sie vor einer Leinwand mit klug ausgewählten Projektionen: nass brandende Urgewalt, Menschenmassen, TV-Trash. Allmählich begannen sie zu improvisieren, aber zärtlich, am ungefähren Schimmern stärker interessiert als am strahlenden Chaos.

Dabei begriff man, wie gut die Band immer noch ist und wie wenig abgenutzt ihr Sound. Thurston Moore sieht mit Anfang 50 aus wie ein Junge in seinem Streifenshirt. Und als er gegen Schluss die Entgrenzung wagte und sich im Exzess am Mikro böse den Kopf stieß, war das wie damals, als die Denkmäler des Underground und Vorbilder von Nirvana und Pearl Jam noch mit Pseudo-Dilettantismus provozieren konnten. "Bull in the Heather", "Schizophrenia": Wenn sich die Melodie über die Wand aus Lärm erhebt, sind das Momente großer Erhabenheit. Und wenn sich Lee Ranaldo durch "Hey Joni" kämpft, ist es die reine Freude.

Sonic Youth zeigte, wie spannend das fortwährende Experiment Rockmusik sein kann. Scharfe Obertöne, Geschwindigkeitswechsel, über die Saiten gezogene Eisenstangen, Geschrei und Harmonie: Man gab sich dieser Installation nicht mit allen Sinnen hin, genoss aber die geistige Erfrischung, die Irritation. Auch wenn die Kunsthalle der Veranstalter war: Ins Museum gehört diese Musik noch nicht.

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