Essen Musikpiraterie – Pianist stoppt Konzert

Essen · Aus Protest gegen einen Zuhörer, der mit dem Handy im Konzert gefilmt hatte, unterbrach Krystian Zimerman einen Auftritt in Essen. Dafür erhält er Zuspruch. Doch es gibt auch Künstler, die kostenlose Verbreitungskanäle wie "Youtube" kreativ nutzen.

Er gehört zu den Akribischen im internationalen Musikgeschäft, gibt nur wenige Konzerte pro Jahr, deren Ablauf er sorgsam komponiert, legt alles in den Augenblick — und fordert dafür Andacht. Welche Wut muss sich also in dem polnischen Pianisten Krystian Zimerman angestaut haben, dass er sein Spiel beim Essener Klavierfestival Ruhr gut 20 Minuten vor Ende des Konzerts plötzlich unterbrach? "Würden Sie das bitte lassen!" rief er zu einem Zuhörer auf der Empore. Der hatte sein Smartphone gezückt und den Auftritt des Weltstars ganz offensichtlich gefilmt.

Nach dem Zwischenfall spielte Zimerman zunächst weiter, konnte sich aber nicht mehr sammeln und verließ sichtlich wütend die Bühne. Das Publikum reagierte mit Applaus. Etwa eine Minute später kehrte der Pianist zurück und erklärte, dass er schon viele Plattenprojekte verloren habe, weil seine Einspielungen im Videokanal "Youtube" zu sehen seien. Kostenlos. Zimerman fügte noch hinzu: "Die Vernichtung der Musik ist enorm durch Youtube." Dann setzte er sein Konzert fort, spielte Variationen seines Landsmanns Karol Szymanowski, bekam kräftigen Beifall, gab aber keine Zugabe mehr, erschien auch hinterher nicht zum Empfang des Klavierfestivals.

Ärger über das Angebot von "Youtube", ein Internetportal, bei dem Nutzer kostenlos Filme und Musikvideos ansehen können, die andere Nutzer eingestellt haben, treibt Zimerman um. Als er im vergangenen Jahr in der Berliner Philharmonie auftrat, reagierte er erleichtert, als der Veranstalter ihm versicherte, gegen illegale Mitschnitte, die möglicherweise bei "Youtube" auftauchen, vorzugehen. Das geschah dann auch. Zwar war Zimerman in Berlin nicht gefilmt worden, aber Fans hatten Tonspuren aufgezeichnet und ins Internet gestellt.

Mit seiner öffentlichen Empörung in Essen gehört Zimerman zu den wenigen Klassikinterpreten, die sich gegen die unerlaubte Verwertung ihrer künstlerischen Leistung wehren. Im Popbereich haben Künstler wie Sven Regener, Kopf der Band Element of Crime, ihrem Ärger schon früher Luft gemacht. In einem legendären Wutanfall forderte Regener in drastischen Worten mehr Respekt vor der Leistung von Künstlern. Musikmachen sei kein exzentrisches Hobby, Piraterie eine Beleidigung — und ein Angriff auf die Existenz von Künstlern. Tatsächlich hat die Musikindustrie mit massiven Rückgängen zu kämpfen, seit die Digitalisierung von Musik kostenlose Internetportale oder Tauschbörsen möglich gemacht und Raubkopieren vereinfacht hat. In der deutschen Musikindustrie ging der Umsatz im vergangenen Jahr um 3,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück, im Klassiksektor sogar um 14,6 Prozent. Der Bundesverband Musikindustrie will trotzdem nicht pauschal gegen kostenlose Angebote wie "Youtube" wettern. Der Videokanal sei natürlich auch ein spannender Weg, Musik einem großen Publikum bekannt zu machen, sagt Verbandssprecher Andreas Leisdon, man hoffe, dass es bald eine Einigung zwischen "Youtube" und der Gema geben werde.

Die Gema ist eine Verwertungsgesellschaft, die für die Rechte von Urhebern eintritt und unter anderem dafür kämpft, dass Portale wie "Youtube" pro abgerufenem Lied 0,375 Cent an die Inhaber der Urheberrechte zahlen.

Bis Ende vergangenen Jahres hat die Gema mit "Youtube", ein Unternehmen des Internetgiganten Google, unter anderem über diese Mindestvergütung verhandelt. Als man sich nicht einigen konnte, entschloss sich die Gema, rechtliche Schritte einzuleiten, zog vor die Schiedsstelle des Deutschen Patent- und Markenamtes und wartet nun auf deren Einschätzung. "Ich freue mich, wenn betroffene Künstler wie Krystian Zimerman darüber reden, dass ihre Existenz bedroht ist", sagt Ursula Goebel, Kommunikationschefin bei der Gema. "Nur wenn sie Zeichen setzen, kann es zu einem Umdenken bei den Verbrauchern kommen." Es sei bedenklich, dass Menschen, die heimlich ein Konzert mitschnitten, nicht einmal mehr ein Unrechtsbewusstsein besäßen.

Doch es gibt auch Künstler, die neue Kanäle zum Publikum wie "Youtube" kreativ nutzen. Die Berliner Philharmoniker zum Beispiel. Sie stellen zwei Mal pro Woche in einem eigens für sie eingerichteten Kanal bei "Youtube" kurze Konzertausschnitte ein. Appetithappen. Das ganze Menü — vollständige Konzertmitschnitte — bietet das Orchester über einen eigenen Videokanal an. Für 14,90 Euro im Monat können Klassikfans auf der Internetseite digitalconcerthall 40 Live-Konzerte pro Saison ansehen, dazu 200 Mitschnitte aus dem Archiv und zahlreiche Interviews. Seit 2008 betreiben die Berliner dieses Angebot, 14 000 Nutzer weltweit konnten sie bereits gewinnen.

Den kostenlosen Videokanal haben die Berliner Philharmoniker also anfangs nur als Medium mit enormer Breitenwirkung genutzt, um für ihr eigentliches Angebot zu werben. Doch schätzen sie das Videoportal inzwischen auch, weil es Menschen mit klassischer Musik in Berührung bringt, die womöglich nie ein Konzert besuchen würden. Bei "Youtube" könne man sehen, wie lebendig auch ein klassisches Konzert sei, heißt es in Berlin. Ein Eindruck, der für die Zukunft des deutschen Konzertpublikums noch Gold wert sein könnte.

(RP)
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