Nationalstaat ist nicht von gestern

Der Kölner Wirtschaftsfachmann Michael Hüther meint, der Ruf nach einer politischen Union helfe nicht weiter.

Politische Neuerscheinungen zur neuen deutschen Rolle in Europa gibt es von Monat zu Monat immer mehr. Inzwischen liegt auch aus wirtschaftlicher Feder ein Buch zum Thema vor, das sich deutlich von herkömmlichen Europabüchern wie denen von Helmut Kohl, Werner Weidenfeld und Joschka Fischer abhebt. Dabei ist es vor allem die Absage an die These, der Nationalstaat sei in Zeiten der Globalisierung überholt, die aufhorchen lässt. Wichtig daran ist, dass der Einspruch von einem renommierten Ökonomen stammt, von Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln. In seinem Buch "Die junge Nation. Deutschlands neue Rolle in Europa" räumt er mit Vorstellungen auf, die auch im Zeichen der Griechenlandkrise täglich Brot in der EU-Politik und -Berichterstattung sind.

Hüthers Feststellung: Der Nationalstaat ist durch die Globalisierung keineswegs überholt, auch in der Finanz- und Eurokrise sind Nationalstaaten die Akteure, die inter- und supranationale Organisationen wie IWF für die "Troika" und EU für den Euro-Rettungsplan nach Bedarf heranziehen. Globalisierung und Europäisierung hätten die Nationalstaaten weder gleichgemacht noch kleingeschliffen, vielmehr würden sich diese in der EU-Währungsunion noch auseinanderentwickeln. Die Bereitschaft, voneinander zu lernen, sei kaum vorhanden - was auch weiter zu unterschiedlichen Entwicklungen beitrage.

Hüther erteilt Forderungen nach einer politischen Union für die EU eine Absage, indem er fragt, "ob die Idee einer europäischen politischen Union . . . nicht fragwürdig geworden ist", und er zu dem Ergebnis kommt, "der allfällige . . . Ruf nach einer politischen Union hilft nicht weiter . . .". Er fragt, warum "in der offiziellen politischen Arena immer wieder das Ziel einer politischen Union propagiert" werde. Seine Antwort: dass sich dahinter "das Werben für Eurobonds und eine europäische Schuldengemeinschaft verbirgt". Hüther will Europa und die Nationalstaaten miteinander versöhnen: "Es muss darum gehen, die Nationen in ihren Staaten für die Europäische Union zu mobilisieren, die als Holding den Kontinent durch eine historisch-kulturelle Perspektive zusammenhält und vor einer fehlgeleiteten Europäisierung bewahrt. Die Tatsache, dass Deutschland als junge Nation zu sich gefunden hat, begründet die Erwartung, diese für Europa unentbehrliche Nation konstruktiv und führungsstark in diesen Prozess einzubinden."

Vorsichtig bleibt der Wirtschaftsfachmann Hüther allerdings bei der Frage, was aus der EU-Währungsunion werden soll - bei einem Mann in seiner Position nicht überraschend -, und spricht von der "Sackgassenlogik" der Währungsunion: "Das führt dazu, dass der Austritt einzelner Länder allein wegen der Unkalkulierbarkeit seiner Folgen für das gesamte Währungsarrangement keine wohlfeile Option der Währungspolitik ist". Die Frage, was dann jenseits aller "Wohlfeilheit", die ja kaum jemand behauptet, oder einer Schuldengemeinschaft noch bleibt, wenn die Problemstaaten weder lernen können noch wollen, lässt er leider offen.

Das Buch gliedert sich in sechs Kapitel, von denen vor allem das erste und das letzte sich direkt mit dem Thema beschäftigen, während die mittleren vier sich mit grundsätzlichen Fragen wie den Thesen Helmuth Plessners von der verspäteten Nation Deutschland oder mit dem grundsätzlichen Verhältnis von Nationalstaat und ökonomischer Globalisierung beschäftigen. Politisch spannend wird es, wenn er einen "veränderten Blick auf Deutschland und Europa" fordert (Kap. I), eine "De-Nationalisierung durch Globalisierung" (Kap. II) bestreitet oder wie in Kapitel VI über "Deutschland im Europa der Nationen" spricht.

Die Rehabilitierung des Nationalstaates im Jahre acht der Euro-Schuldenkrise kommt direkt aus der deutschen Wirtschaft. Ihr Pragmatismus wird deutlich, wenn Hüther es ablehnt, sowohl den Nationalstaat wie die EU auf ihre jeweiligen Übersteigerungen und Fehlentwicklungen zu reduzieren und fordert, "die europäische Perspektive durch die nationale Sichtweise zu ergänzen". Für ein Land wie die alte Bundesrepublik, die sich oft nur noch "als Übergangsphänomen auf dem Weg in eine bessere europäische Welt" verstand, bedeutet dies zwar noch keine Wende, aber doch die endliche Anerkennung der friedlichen Revolution von 1989 in Deutschland - 25 Jahre danach.

Gerade in seinen aktuellen Passagen ist das Buch prägnant und gelungen. Am wenigsten gilt dies jedoch für den Obertitel: Eine Nation wie die deutsche mit ihren eklatanten demografischen Problemen als jung zu bezeichnen, geht auch dann fehl, wenn man sich dabei auf politisch-historische Prozesse bezieht. Dies zeigt sich beispielhaft, wenn die Bundesregierung wie in diesem Jahr zwanzigmal so viel in Rentner wie in Kinder und damit in Vergangenheit statt in Zukunft investiert.

(RP)
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