Erlebnisse einer Tour Nick Cave singt ein Spucktütenlied

Der Musiker beschreibt in "The Sick Bag Song" seine Erlebnisse auf einer Tour.

"Nordamerika erstreckt sich vor mir wie eine geplatzte Tüte mit Erbrochenem", schreibt Nick Cave im neuen Buch mit dem Titel "The Sick Bag Song". Während seiner Tour mit den Bad Seeds hat der Australier es 2014 geschrieben. Auf sogenannten Kotztüten aus dem Flugzeug.

Es liest sich wie ein langer Songtext, in dem der Sänger von seinem Trip durch die Staaten erzählt. Ganz persönliche Erlebnisse vermischen sich mit düsteren Visionen und Traumbildern. "Ich bin ein Nervensystem, das Reime und Geister braucht", heißt es gleich am Anfang. In Denver trifft Nick Cave den Kollegen Bryan Ferry in einer blauen Badehose am Pool. In Edmonton "vertschernobylt" die Reinigung des Fairmont Hotels seinen Anzug. In Minneapolis erbricht er Meeresfrüchte ins Klo des Grand Hotels. In Milwaukee färbt er sich die Haare schwarz über der "mehrstöckigen Stirn". In Philadelphia klaut er im Ritz-Carlton einen Bademantel.

Alles, was er liebt und hasst, packt er hinein in die Spucktüte. Bis sie prall voll ist und zu platzen droht. So kennen wir Nick Cave. Predigend, surreal, nekrophil, manchmal auch ein bisschen kryptisch. Immer wieder hat er sich als Schriftsteller ausprobiert. Mal gelungen, wie im düsteren Sekten- und Südstaatenepos "Und die Eselin sah den Engel" (1989). Mal weniger gelungen wie in dem trashigen Vertreter-Roman "Der Tod des Bunny Munro" (2009). Ein autobiografisches Werk war bisher noch nicht dabei. Die Fans wird es umso mehr freuen. Zählen die Erinnerungspassagen doch zu den stärksten des Langgedichts.

Wenn Nick Cave beispielsweise beschreibt, wie auf dem Glastonbury Festival 1998 ein Mann mit Kapuze aus dem Wohnwagen gegenüber steigt und durch den Sumpf des dichten Regens auf ihn zukommt. Die Gestalt ist Bob Dylan, der ihm die "weiße Satinhand" entgegenstreckt und sagt: "Hey, mir gefällt, was du machst", worauf Cave nur entgegnen kann: "Mir gefällt auch, was du machst." Danach stürzt er für drei Jahre in eine tiefe Depression, fühlt sich schwach, entleert, fast dem Vergehen nah. Bis Kalliope, die Muse der epischen Dichtung, ihn ermahnt: "Schluss jetzt! ... Lass los! Du genügst vollkommen."

Immer wieder zieht es den Musiker zu Brücken hin. Dort erinnert er sich an den Jungen aus seiner Kindheit, der von einer Bahnbrücke in den Tod stürzte. "Spring oder stirb" scheint auch das Motto des Tourtagebuchs zu sein. Ist doch auch die Bühne eine Rampe, von der es sich jedes Mal erneut hinunterzustürzen gilt. Mach was aus deinem Leben, könnte das heißen. Den ersten Schritt musst du tun. Dann gibt ein Engel dir einen Schubs und stößt dich ins Unbekannte.

Eine literarische Qualität lässt sich dem "Sick Bag Song" nicht absprechen, der in einer zweisprachigen Ausgabe mit Faksimiles der beschriebenen Kotztüten erscheint. Wie man das Buch an den Mann bringen kann, darüber macht sich der Verleger im Text schon Gedanken: "Wir könnten neun Stripperinnen anheuern, sie als Musen anziehen und über die Frankfurter Buchmesse schicken, wobei sie Leiern zupfen und Spucktüten verteilen!"

(RP)
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