Düsseldorf NRW hat fast mehr Kunst als Geld

Düsseldorf · Die Casino-Sammlung ist nicht der einzige Schatz. Politiker fordern parteiübergreifend, die Kunstsammlung NRW einzuschalten.

Der Verbleib der Kunstsammlung des Aachener Spielcasinos sowie die Zerstörung eines wichtigen Zero-Werkes von Heinz Mack durch die Betreibergesellschaft Westspiel haben die Kunstwelt aufgeschreckt. Die Schätze des Landes NRW, die an vielen verschiedenen öffentlichen Orten ruhen, in Gebäuden, im öffentlichen Raum, in Banken und sogenannten Außenstellen, gehen in die Zigtausende. Im kleinen Örtchen Kornelimünster befindet sich eine exquisite Sammlung mit großen Namen, die nach dem Krieg entstand. In der Heinrich-Heine-Uni hängen vier Roy-Lichtenstein-Wandmalereien, die einst vom Architekten in den Bau integriert wurden. Der Schätzwert, so ein renommierter Kunstsachverständiger aus Düsseldorf: mindestens 100 Millionen Euro. Zählt man eins und eins zusammen, gewinnt man den Eindruck, das Land Nordrhein-Westfalen hat fast mehr Kunst als Geld.

Die Bank Portigon zum Beispiel hat von ihrer Vorgängerin WestLB eine Sammlung übernommen, über deren genauen Umfang und Wert ein Sprecher gestern auf Nachfrage keine Auskunft geben wollte. Nach Angaben der Bank handelt es sich um "mehrere herausragende Werke der klassischen Moderne". Neben Macke- und Münter-Bildern beherbergt die Bank Picassos berühmte Serie von Stierlithographien. Auch zeitgenössische Werke sind dabei: von Beuys, Knoebel, Uecker, Piene und Mack. Eine vierte Säule der Sammlung ist Fotokunst, darunter die hochpreisigen Stars der Becher-Schule Candida Höfer und Thomas Struth. Außerdem stellt Portigon dem Geiger Frank-Peter Zimmermann die Stradivari "Lady Inchiquin" ( 1711) zur Verfügung.

Über den Umgang mit solchen aus Steuermitteln erworbenen Kunstwerken, die Frage der Inhaberschaft und die Problematik einer zulässigen Veräußerung wird heiß gestritten. Anlass der Debatte ist der geplante Verkauf zweier Warhol-Bilder aus dem Aachener Casino, die bei Christie's in New York Mitte November unter den Hammer kommen. Die Proteste gegen diesen Verkauf sind immens, Museumsleute und Künstler warnen vor dem Ausverkauf der Kunst, Staatsministerin Monika Grütters und die Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder, Isabel Pfeiffer-Poensgen, sprechen sich gegen den Verkauf aus.

Im Düsseldorfer Landtag zeichnet sich eine parteiübergreifende Initiative ab, die die Kunst der landeseigenen Unternehmen an die Kunstsammlung NRW übergeben will. Der kulturpolitische Sprecher der CDU, Thomas Sternberg, sagt: "Diese Werke gehören den Bürgern, in der Kunstsammlung NRW hätten sie einen besseren Zugang dazu. So wäre sichergestellt, dass die Werke keinen Schaden nehmen." Der Fraktionschef der Grünen im NRW-Landtag, Reiner Priggen, unterstützt Sternbergs Forderung: "Der Gedanke, die Kunstwerke in einer Kulturstiftung NRW zu bündeln, macht Sinn." Das NRW-Kulturministerium wollte zu dieser Frage gestern nicht Stellung beziehen.

Westspiel antwortete indes auf die offenen Fragen, mit denen sie unsere Zeitung konfrontiert hatte. So erklärt die Casino-Betreibergesellschaft, dass sie derzeit im Besitz von 235 Kunstwerken sei. Sprecher Christof Schramm sagt: "Die im Besitz der Westspiel-Gruppe befindlichen Werke wurden vor allem in der Zeit zwischen 1976 und 1988 zu Ausstattungszwecken der Spielbanken erworben." Gelagert würden sie in Depots. Auch habe man sie regelmäßig, zuletzt 2008, von Restauratoren begutachten lassen. Vor zwei Jahren habe man von einem Sachverständigen ein Gutachten zur Evaluierung der Werke in Auftrag gegeben. Dabei sei der Gesamtwert auf rund sechs Millionen Euro beziffert worden. Schramm räumt ein, dass dies allein schon weit unter dem geschätzten Wert der zum Verkauf stehenden Warhols liegt, für die 130 Millionen Dollar angepeilt werden. Weitere Verkäufe seien derzeit nicht vorgesehen. Zur Zerstörung der Mack-Installation "Lichtregen", die fast 30 Jahre lang im Aachener Spielcasino hing und als wichtiges Werk des Künstlers gilt, sagt Westspiel, dass eine Schadensbehebung bei Kunstwerken in der Regel nicht möglich sei. "Das Werk entspricht in einem solchen Fall nicht mehr dem ursprünglichen Kunstverständnis." Macks Arbeit sei 2003 abmontiert worden, "da die zu diesem Zeitpunkt rund 30 Jahre alte Technik nicht mehr reparabel war".

Heinz Mack hat das anders erlebt: "2003 wurde mir bekannt gemacht, dass mein Werk im Zuge von Umbauarbeiten demontiert werden müsste", schreibt Mack, "der Zeitraum, der blieb, eventuell ein Museum mit ausreichend Platz zu finden, war äußerst gering. An eine Lagerung bei uns war auch nicht zu denken." Der Zero-Künstler, der sich derzeit im Ausland befindet, schreibt weiter: "Die Enttäuschung war natürlich groß, dass kein Interesse seitens des damaligen Besitzers bestand, das Werk - wie auch immer - zu erhalten oder dabei zu helfen, einen neuen Platz zu finden. Alles ging sehr schnell, und so stimmte ich der Demontage und der Zerstörung zu." Von Funktionsverlust war also gar nicht die Rede.

Dass ein Künstler heute solchem Kunstfrevel zustimmen würde, erscheint unvorstellbar.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort