Olympia im Zeichen des Hakenkreuzes

In dem Buch "Berlin 1936" zeichnet der in Viersen geborene Oliver Hilmes ein atmosphärisch eindrucksvolles Bild jener Tage.

Der Zeppelin "Hindenburg" steht in der Luft. Hunderttausend Menschen im Berliner Olympiastadion jubeln frenetisch als Fanfaren den Führer ankündigen. Der betritt zu Wagners "Huldigungsmarsch" über die große Treppe am Marathontor die Arena. Henri Comte de Baillet-Latour als Präsident des Internationalen Olympischen Komitees hat ihm zuvor ans Herz gelegt, er möge die Spiele mit nur einem einzigen Satz eröffnen. Worauf Hitler geantwortet haben soll: "Herr Graf, ich werde mich bemühen, den Satz auswendig zu lernen."

Gesagt, getan: "Ich erkläre die Spiele von Berlin zur Feier der XI. Olympiade neuer Zeitrechnung als eröffnet." Es werden die einzigen Worte sein, die Hitler während der nächsten zwei Wochen im Stadion vor der Weltöffentlichkeit spricht.

Beim Einmarsch der Nationen wird die englische Mannschaft vom Publikum vergleichsweise kühl begrüßt. "Etwas peinlich", wird Reichspropagandaminister Joseph Goebbels später ins Tagebuch notieren. Die Franzosen hingegen empfängt das Stadion mit lautem Beifall, weil sie mit erhobenem rechten Arm einlaufen.

Um 17.16 Uhr ertönt die extra für die Eröffnungsfeier geschriebene "Olympische Hymne". Die von seinem Wohnort Garmisch erhobene Sonderabgabe für diesen "Sportunfug" hatte Richard Strauss nicht zahlen wollen, da er "Bobbahn, Skisprunghügel" nicht benutze und auch auf "die Triumphbögen am Bahnhof gerne verzichte", wie er dem Gemeinderat in seinem Beschwerdebrief argumentiert.

Als der Auftrag der Hymne an ihn herangetragen wird aber, sagt er zu. "Was ein richtiger Musiker sein will, der muss auch eine Speisekarte vertonen können." Dem Freund Stefan Zweig schreibt er unterdessen, dass er sich die Zeit damit vertreibe, "eine Olympiahymne für die Proleten zu komponieren ... ich der ausgesprochene Feind und Verächter des Sports."

Die Olympischen Spiele 1936 sollen zu einem Großereignis werden wie es die Welt noch nicht gesehen hat. 129 Wettbewerbe mit knapp 4000 Sportlern aus 49 Ländern. Nach dem Einmarsch ins entmilitarisierte Rheinland im März wollen die Nazis die Wogen glätten und sich als weltoffene Nation inszenieren.

Das NS-Hetzblatt "Der Stürmer" darf während der Spiele nicht im Straßenverkauf angeboten werden. Die täglichen Anweisungen der Reichspressekonferenz ermahnen die Journalisten, ausländische Siege nicht zu verkleinern: "Der Rassenstandpunkt soll in keiner Weise bei Besprechungen der sportlichen Resultate Anwendung finden; vor allem sollen die Neger nicht in ihren Empfindlichkeiten getroffen werden." Für 16 Tage im August ist die Stadt noch einmal die weltoffene Metropole, die sie einmal war.

In "Berlin 1936" zeichnet der 1971 in Viersen geborene Oliver Hilmes ein atmosphärisch eindrucksvolles Bild jener Tage. Aus kurzen Abschnitten fügt sich - ganz ähnlich wie in Florian Illies' Bestseller "1914" - ein buntes Mosaik zusammen, das den Leser eintauchen lässt in die ausgelassene Stimmung während der Spiele in der deutschen Reichshauptstadt.

Oliver Hilmes hat gut recherchiert und einen ausgezeichneten Blick für Anekdoten. In den Bars gastieren Menschen aus der ganzen Welt, summen "Goody Goody" - den Soundtrack dieses Sommers - von Teddy Stauffer und den Original Teddies. In den Bäumen auf dem Kurfürstendamm hängen Lautsprecher, aus denen die Übertragung der Wettkämpfe tönt. Das Boulevardblatt B.Z. hält als Tipp für Leser als Erfrischungsgetränk "Asbach Uralt mit Mineralwasser" parat.

Der amerikanische Schriftsteller Tom Wolfe schwärmt, die Deutschen seien das "sauberste, freundlichste, warmherzigste und ehrlichste Volk", das er in Europa habe kennenlernen dürfen. Kaum glauben will er es, als Eingeweihte ihm erzählen, dass nur acht Kilometer von der Berliner Stadtgrenze entfernt gerade das Konzentrationslager Sachsenhausen gebaut wird. Dass zwei Wochen vor Eröffnung der Spiele 600 Sinti und Roma verhaftet und in ein Lager in Marzahn verschleppt worden sind.

Und schließlich: dass deutsche Flugzeuge der sogenannten Legion Condor in Spanien den Militärputsch von General Franco unterstützen. Dem polnischen Botschafter Józef Lipski schwant schon bei der gigantischen Eröffnungsfeier nichts Gutes: "Wir müssen auf der Hut sein vor einem Volk, das so zu organisieren versteht", flüstert er auf der Tribüne seinem Nebenmann zu. "Eine Mobilmachung in diesem Land wird genauso reibungslos funktionieren."

Noch aber findet das Kräftemessen nur auf der Tartanbahn statt. Der Amerikaner Jesse Owens wird mit vier Goldmedaillen der gefeierte Star der Spiele. Unvergessen ist die Umarmung zwischen ihm und seinem deutschen Konkurrenten Luz Long nach dem Weitsprungwettbewerb. Vor den Augen des Führers, der vorher schon bekräftigte, er werde "diesem Neger nicht die Hand geben", liegen beide sich in den Armen. Ein Bild, das nicht zu der Nazi-Propaganda von der Überlegenheit der weißen Rasse passen will. Zwei Sportkameraden begegnen sich auf Augenhöhe. Egal, welche Hautfarbe sie haben.

Die Geschichte, Luz Long habe ihm nach dem zweiten Versuch den entscheidenden Tipp gegeben, wie er den Absprungbalken richtig treffe, dementiert Jesse Owens später übrigens mit einem Augenzwinkern: "Das sind Geschichten, die die Leute hören wollen."

Während Owens starten darf, bleibt anderen wie der Hochspringerin Gretel Bergmann als "Volljüdin" eine Teilnahme verwehrt. Besser erwischt es die Florettfechterin Helene Mayer. Sie ist "Halbjüdin" und wird als "Alibi-Jüdin" eingeladen. "Mit Helene Mayers Eintritt in die deutsche Olympiamannschaft ist der internationalen Boykottbewegung der Wind aus den Segeln genommen", schreibt Hilmes in seinem Buch. Vor allem die Vereinigten Staaten hatten mit ihrem Fernbleiben gedroht. Am Ende ist Deutschland mit 89 Medaillen (darunter 33 goldene) die erfolgreichste Nation vor den USA mit 56 Medaillen (davon 24 in Gold) und Ungarn mit 16 Medaillen (10 Gold). Mit einem großen Feuerwerk enden am 16. August die Spiele von Berlin. Eine halbe Stunde soll der Feuerregen gedauert und so manchen Besucher an Artilleriefeuer erinnert haben.

Eine böse Vorahnung auf das, was drei Jahre später Wirklichkeit werden sollte. Am Ende erheben sich zehntausend Menschen im Rund des Stadions, brüllen "Heil Hitler!" und stimmen "Deutschland, Deutschland über alles" an. Das weltoffene Berlin versinkt nach ein paar festlichen Tagen wieder im braunen Sumpf.

(RP)
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