Moers Ornette Coleman beim Jazzfestival in Moers

Moers · Vierzig Jahre gibt es das Festival in Moers, das sich in seinen Anfängen als New-Jazz-Festival auf innovative Strömungen des Genres konzentrierte. Mit 10 500 Tickets waren alle drei Tage ausverkauft, erklärte Reiner Michalke, künstlerischer Leiter des Festivals, hochzufrieden, und verwies auf täglich 8000 weitere Nutzer des Live-Streams. Die Liebe zum Festival ist also noch da. Doch wie steht es mit dem Leben, dem Feuer, wie viel Innovatives war zu hören, und wie viel gehörte eigentlich in den Bereich jazzige Ehe-Routine?

Sicherlich war das Konzert von Abdullah Ibrahim auch mit einer musikalischen Rückschau verbunden, denn der in Südafrika geborene Pianist trat bereits 1977 erstmals in Moers auf. Die Jazzlegende – von Duke Ellington entdeckt und später Weggefährte von John Coltrane, Ornette Coleman sowie Don Cherry – präsentierte eine Art musikalisches Reisetagebuch. Von Eric Satie beeinflusste Stilistiken bis hin zu fast zu eingängig schön klingenden Passagen verzauberten das trotz prasselnden Regens andächtig lauschende Publikum.

Auch der Auftritt von Ronald Shannon Jackson, der mit seiner Decoding Society einst Maßstäbe setzte, nährte zunächst die Neugier, zu was der 71-Jährige, von dem kurz zuvor noch verlautbart wurde, dass er im Krankenhaus sei und nicht auftreten könne, an den Drums noch wird leisten können. Jede Menge! Sein Konzert mit Encryption, zu dem Ex-Living-Colour-Gitarrist Vernon Reid und Bassist Melvin Gibbs gehörten, explodierte förmlich vor Vitalität. Gibbs' rauer Bass-Sound verband sich mit Jacksons druckvollem und dennoch entspanntem Spiel zu rockig-funkigen Rhythmen. Nicht nur bei Zappas "Willie The Pimp" bewies Reid, dass er nicht nur ein exzellenter Techniker ist, sondern durch seine flinken Finger stets auch noch die emotionale Wärme des Blues pulsiert.

Mit Ornette Coleman dem 81-jährigen Veteranen, gab es einen Überraschungsgast, der mit seinem Quartett – darunter Sohn Denardo am Schlagzeug – das Publikum begeisterte. Temperamentvolle Phrasierungskunst und feinfühlige Intonation – lediglich der Stuhl, auf den er sich gelegentlich setzen musste, erinnerte an das hohe Alter – standen für das Feuer musikalischer Leidenschaft.

Und da war zudem die jüngere Riege wie der überragende US-Drummer Chris Dave, der mit seinem trockenen Schlagzeugsound und mit Hilfe seiner "Friends" Pino Palladino (Bass), Tim Stewart (Gitarre) sowie Kebbi Williams demonstrierte, wie homogen sich HipHop-Zitate in jazzige Strukturen einbauen lassen. Auf ähnlichem Kurs, also der Fusion von Jazz und New Soul, von John Coltrane und Mos Def, befand sich auch der amerikanische Trompeter Ingmar Thomas mit seiner Band "The Cypher". Zu ostinaten HipHop-Grooves traf sich Thomas mit seinem Saxofonisten Marcus Strickland mal zu auf den Punkt gespielten Unisono-Passagen, mal zu hochspannenden Frage-Antwort-Dialogen.

Letztlich gehören die Vertreter der Ethno-Fraktion noch immer zu Moers. Der senegalesische Griot-Sänger Thione Seck schlug mit "Orientation" eine Brücke zwischen afro-arabischen und indischen Klängen. Zusammen mit den Sängerinnen Kkhady Mbaye und Dieynaba Koité entwickelten sich Gesangspassagen, die von Bollywood-Theatralik inspiriert sind, jedoch nichts mit den Klischees der Filme gemein hatten. Kolumbianischer Power-Salsa mit "La-33" und schließlich der pulsierende Afrobeat von Seun Kuti und Egypt 80 ließen Erinnerungen an die einst legendär schweißtreibenden Afro Dance Nights wachwerden.

In diesem Festival steckt nach wie vor jede Menge Leben.

(RP)
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