Düsseldorf Ost-Roman "Der Turm" als TV-Ereignis

Düsseldorf · Dresden, Weihnachten 1982: Während der Direktor des städtischen Klinikums in seinem Ausblick auf das kommende Jahr Karl Marx' hundertsten Geburtstag als wichtigstes Ereignis preist, tropft es durch das Dach und fällt immer wieder der Strom aus. Die Belegschaft rund um den Chef-Chirurgen Richard Hoffmann (Jan Josef Liefers) begegnet den planwirtschaftlichen Widrigkeiten mit zunehmend galligem Humor. "Sag mir, wo du stehst" heißt eines der bekanntesten Kampflieder der Freien Deutschen Jugend (FDJ).

Der Lyriker, Epiker und Unfallchirurg Uwe Tellkamp, 1968 als Spross einer Ärzte- und Musikerfamilie in Dresden geboren, machte in seinem Bildungs- und Schlüsselroman "Der Turm" unmissverständlich seinen Standpunkt klar. Der Deutsche Buchpreis beförderte das ungewohnt romantisch-hochfahrende Werk 2008 zum Bestseller. Das Buch vertritt bei aller Liebe zum Ornament eine streng bipolare, parteiische Weltsicht, die durch das Medium Film auf angenehme Weise demokratisiert wird. Auf knapp 1000 Seiten seziert Tellkamp die letzten sieben Lebensjahre des moribunden Staates seiner Jugend. Die geschlossene Sphäre altdeutscher Behaglichkeit und Bildungsbeflissenheit wird zur Trutzburg gegen die funktionale "Erziehungsdiktatur" DDR.

Im Romantitel klingt die "Turmgesellschaft" aus Goethes "Wilhelm Meister" an – und damit auch eine ungeheure Fallhöhe. Das gilt nicht minder für das Wagnis, dem sich Regisseur Christian Schwochow und Drehbuchautor Thomas Kirchner mit der zweiteiligen Verfilmung des Buches aussetzten. Die Produktion wird heute und morgen in der ARD ausgestrahlt. Kaum fassbar bunt und vielgestaltig ist der Strudel der Handlungsstränge und Bewusstseinsströme rund um die großbürgerlichen Familien Hoffmann und Rohde im sogenannten Turmviertel hoch oben auf den Elbhängen, wo die Villen Namen wie "Tausendaugenhaus", "Fagott" oder "Haus Karavelle" tragen. Also mussten Schwochow (der 1978 auf Rügen geboren wurde) und Kirchner fokussieren und verknappen, wo es nur ging. Und siehe da: Die Rosskur hat gut getan.

Die Verfilmung betont die komischen Momente wie das gemeinschaftliche Öffnen einer Kokosnuss stärker als das Buch, andererseits spart sie die esoterischen Schnörkel der Vorlage wohltuend aus. Höchst eindrucksvoll ist mitzuerleben, wie der Chirurg Hoffmann durch die zunehmende Repression und eine unglückliche Liebesgeschichte an die Grenzen seiner selbst gerät. Bitter enttäuscht, überwinden sowohl die heimliche Geliebte Josta (Nadja Uhl) als auch Ehefrau Anne (Claudia Michelsen) den selbstsüchtigen Macho auf ihre Weise. Beide Frauen sind ihm moralisch überlegen. Liefers kennt Claudia Michelsen noch aus gemeinsamen Dresdner Teenager-Tagen. Zum Glück lässt er in dieser ernsten, auch unsympathischen Rolle die Slapstick-Haltung des Münsteraner "Tatorts" vergessen, in dem er den snobistischen Pathologen Boerne spielt.

"Der Turm" ist ein glaubwürdiger Film zur jüngsten deutschen Geschichte. Kameramann Frank Lamm zeigt Dresden eher im Hintergrund, er konzentriert sich ganz auf die Gesichter. Für Tellkamps "Türmer" gilt Novalis' Erkenntnis, dass nur der geistvolle Staat der poetische sein kann. Zwangsläufig folgt der Untergang des verhassten Systems, dessen Repräsentanten mit so ausgewiesenen (Ost-)Schauspielern wie Udo Schenk oder Peter Sodann besetzt sind.

Info Der erste Teil von "Der Turm" läuft heute um 20.15 Uhr in der ARD, der zweite folgt morgen um 20.15 Uhr.

(RP)
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