Wuppertal Paris von seinen schönsten Seiten

Wuppertal · Das Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum bietet zurzeit einen zauberhaften Überblick über das Lebenswerk des Impressionisten Camille Pissarro (1830-1903). Stille Landschaften sind seine Spezialität, dazu seine Ansichten von Paris.

Camille Pissarro gilt als Vater des Impressionismus, doch merkwürdigerweise steht er auch mehr als 100 Jahre nach seinem Tod noch im Schatten von Monet, Cézanne und Renoir. Vielleicht liegt das daran, dass er es den Betrachtern mit seiner Kunst schwerer macht als die übrigen Maler seiner Richtung. Die zauberhafte Schau, mit der das Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum seine erfolgreiche Reihe der Impressionisten-Ausstellungen fortführt, setzt beim Betrachter verstärkt die Kunst des Unterscheidens voraus.

Das Ergebnis könnte so lauten: Pissarros stille Landschaften und Ansichten von Dörfern sind seine künstlerisch reifsten Werke, doch in ihrer farblichen und motivischen Zurückhaltung taugen sie kaum als Blickfang, jedenfalls nicht als aggressiver "Eyecatcher". Mit den pointillistischen Bildern dagegen folgte Pissarro einer Mode, die er bald wieder verwarf, weil er sich von ihr zu sehr eingeengt fühlte. An Bildern, die aus getupften Punkten bestehen, sieht man sich in der Tat rasch satt. Und das Spätwerk kam zwar beim Publikum gut an, weil es virtuos Stadtansichten festhält, vor allem von Paris; doch an den Zauber, den die Landschaften der 1870er und 1880er Jahre vermitteln, reichen die bis heute beliebten Paris-Bilder nicht heran.

Gerhard Finckh, Chef des Von-der-Heydt-Museums, hält auch diesmal an seiner bewährten Art der Aufbereitung fest. Er reiht nicht einfach Leihgaben aneinander, sondern lockert seine Darstellung durch vergrößerte zeitgenössische Fotografien auf, rahmt Pissarros Werk durch Gemälde aus der Hand seiner berühmten Zeitgenossen ein, stattet jeden Saal mit Erläuterungen aus und überlässt es im Übrigen den Betrachtern, zu entscheiden, wo die Höhepunkte liegen. So durchstreift man zugleich Pissarros Leben - von Venezuela, wohin er in jungen Jahren durchbrannte, über Paris, andere Orte in Frankreich und London, wohin er 1870 vor dem deutsch-französischen Krieg floh, zurück nach Paris. Man erfährt, dass Pissarro seine Kraft nicht nur darauf verwandte, unter anderem die erste Impressionisten-Schau zu arrangieren, sondern mehr noch darauf, den schieren Lebensunterhalt für sich und seine Familie sicherzustellen. Die gesamten 1870er Jahre hindurch hatte er Mühe, für seine Bilder Käufer zu finden.

Das mag verständlich sein angesichts des Umstands, dass in diesen Bildern die Welt stillsteht. Auf dem 1870 entstandenen Gemälde "Louveciennes mit dem Mont Valérien im Hintergrund" verlieren sich vorn drei impressionistisch unscharfe Figuren, nach hinten blickt man auf die in einem Tal gelegene Kleinstadt, links vorn erhebt sich beiläufig die weiße Fassade eines Hauses. Die hohe Kunst, die in diesem Bild steckt, baut nicht auf die Motive, sondern auf die Korrespondenzen zwischen den Farben. Wie das Ocker des Vordergrunds auf Dächern im Hintergrund wiederkehrt, wie sich das Weiß der Wolken im Kleid der vorn sitzenden Dame spiegelt - solche Verweise sind es, die aus der Ansicht einer Kleinstadt ein Kunstwerk von Rang machen. Ähnlich verhält es sich mit dem "Küchengarten in l'Hermitage, Pontoise" und mit dem "Markt auf der Place du Petit-Martroy", ebenfalls in Pontoise bei Paris.

Wie der Impressionismus seine Kraft auch im Porträt entfaltet, davon zeugt Pissarros anrührendes Bildnis seiner Tochter Jeanne, die in der linken Hand einen Fächer hält und, den Kopf gleichfalls nach links gewandt, zum Betrachter blickt. Andere Menschenbildnisse des Künstlers wirken kaum minder intim.

In den 1880er und 90er Jahren geht der Zauber der früheren Porträts und vor allem der Landschaften ein wenig verloren. Die Bilder hellen sich auf, und man glaubt, der Künstler habe mit seinen Werken dem Publikum nun besser gefallen wollen. Noch mehr gilt das für die Stadt- und Hafenansichten des Spätwerks. "Aufsteigender Rauch an der Pont Boieldieu in Rouen im Sonnenuntergang" von 1896 ist eine dieser zur Vollkommenheit getriebenen Kompositionen, dazu der Blick von oben auf den Pariser Theaterplatz mit seinen Passanten und Pferdefuhrwerken und als Prunkstück der in ein geheimnisvolles nächtliches Blau getauchte Boulevard Montmartre mit seinen zahllosen Lichtern und Spiegelungen.

Als Pissarro starb, hinterließ er eine Unmenge von Bildern. Heute gehören sie Privatleuten und Museen in aller Welt, von der National Gallery in London bis zum Metropolitan Museum of Arts in New York. Und wenn wieder mal ein Gemälde zum Verkauf steht, kann es sein, dass es einem Liebhaber 25 Millionen Euro wert ist. Das hätte sich Pissarros Familie nicht träumen lassen.

(RP)
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