Bonn Passion des 21. Jahrhunderts

Bonn · In Bonn feierte John Adams' neues Oratorium Deutschland-Premiere.

Internationale Koproduktionen sind heute an der Tagesordnung. Auch beim Bonner Opernhaus ist das so. Das Haus hat eine Verbindung zur English National Opera in London aufgebaut, die nun wieder Früchte trägt mit Peter Sellars Inszenierung der deutschen Erstaufführung von John Adams' "The Gospel According to the Other Mary". Sellars hat für das Oratorium auch das Libretto verfasst, das Bibelworte und religiös-sozialkritische Texte ineinander verschränkt. Dieses Passionsoratorium für das 21. Jahrhundert will vor allem das Passionsgeschehen als universelles Thema aus spezifisch weiblicher Sicht schildern. Denn das Zentrum bilden die biblische Maria Magdalena und ihre Schwester Martha.

Der Tod und die Wiedererweckung von Marias Bruder Lazarus durch Jesus im ersten Akt wird im zweiten mit der Passion Jesu fortgesetzt und endet mit einer Ahnung von Auferstehung. Episoden aus der Gegenwart kommen hinzu, wie etwa in der ersten Szene, die mit einer Drogenrazzia in einem heutigen Gefängnis einsetzt. Die Bühne des Opernhauses ist umgeben von einer Stoffhülle. Auf die Rückseite des hautfarbenen Stoffs wird per Video mal ein stilisierter Männer-Oberkörper, mal eine Hand projiziert. An den Seiten hängt der Stoff an Metallstangen, darunter Zäune mit Stacheldraht und ein paar Pappkartons. Die Assoziationen, die George Tsypins Bühnenbild weckt, sind vielfältig: Die Stangen wirken wie Nägel, die sich in menschliche Haut bohren, Zaun und Drähte verweisen auf Gefangenschaft, Grenzen, Flucht und Elend. Je länger die knapp dreistündige Aufführung dauert, desto klarer wird die Botschaft: Passion war und ist überall, Empathie, Mitgefühl und tätige Hilfe sind die einzige Hoffnung, gerade jenseits aller Konfessionen.

Sellars komponiert überwiegend ruhige Bilder mit ritualisierten Gesten, die durch vier Tänzer noch überhöht werden. In John Adams' mal üppig, mal karg instrumentierter Partitur finden sich nur noch selten Passagen reiner "Minimal Music", oft geht es ruppig und dramatisch zu mit peitschenden Streichern und Bläserattacken. Ein Cimbal liefert Exotik, die Chöre sind viel beschäftigt, die Bibelworte übernehmen drei Countertenöre, Jesus als Figur tritt glücklicherweise gar nicht auf, sondern bleibt ungreifbar.

Nathalie Murray Beale hält das komplexe Geschehen im Graben souverän zusammen, Christin-Marie Hills dramatischer Mezzosopran gibt der Rolle der Maria expressive Kraft, Ceri Williams stattet die Partie der Martha mit sonoren Erda-Klängen aus, Ronald Samm ist ein Lazarus mit italienischem Schmelz.

(RP)
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