Musiker starb im Alter von 85 Jahren Paul Kuhn – der liebenswerte Mann am Klavier

Wiesbaden · Als Bandleader und Jazzvirtuose brachte Paul Kuhn Schwung in die Unterhaltung der Nachkriegszeit. Lässigen Swing spielte er genauso grandios wie Schlager. So wurde er der "Mann am Klavier", genannt "Paulchen". Nun ist er im Alter von 85 Jahren gestorben.

Wann immer im sehr langen Nachkriegsdeutschland blendende Unterhaltung fürs abendliche Fernsehen gebucht werden musste, griffen die Programmmacher zu seiner Karteikartei. Der Mann hatte alles drauf, er konnte Schlager, konnte lässigen Swing, er überzeugte die Amis und machte sie glauben, er sei einer der ihren, er konnte auch fortgeschrittenen Jazz — und vor allem war er der Inbegriff der guten Laune auf hohem Niveau. Künstler von diesem Schlag gab es in Deutschland nicht so oft, weswegen Paul Kuhn schon früh in den Rang der Unentbehrlichkeit aufrückte. Gestern ist dieser wunderbare, liebenswerte und geistreiche Künstler im Alter von 85 Jahren gestorben. Unser Leben hat er unermüdlich verschönert und sich dabei nie geschont.

Wie gern erinnern wir uns beispielsweise an jene Platte "Play It Again, Paul!", deren Cover (das heutzutage als politisch inkorrekt getadelt würde) einen Raucher mit glimmender Fluppe und grandiosen Tränensäcken zeigte. Klar, dass dieser Mann irgendwann in der Herzchirurgie landen würde, doch ebenso klar war auch, dass er sie bald wie ein Dilldöppchen verlassen würde. Und natürlich sah man ihn bald wieder mit Zigarette im Mund, denn der Rauch machte, so glaubte er selbst, seine Stimmbänder irgendwie besonders knarzend und ausdrucksvoll. Ja, singen konnte Paul Kuhn auch, dieses Multitalent mit irreparablen Lastern und maximal vergnügter Lebens- und Denkungsart.

Seit Menschengedenken zählte er, wie gesagt, zu den erhebenden Entertainern des deutschen Musiklebens; was er für das Niveau der Jazz- und Unterhaltungskultur in Deutschland geleistet hat, das grenzt ans Unerhörte. Dem hiesigen Konzert- und Fernsehpublikum erschien er seit den frühen 50er Jahren als der frohe Geist, der stets bejahte, ein unermüdlich positiver Klavierarbeiter, Troubadour, Bandleader, Arrangeur, Produzent (Howard Carpendale wäre nichts ohne Kuhn) — und Stehaufmännchen. Seit Jahren tourte er als Benjamin unter Rentnern mit den beiden älteren Freunden und Kollegen Max Greger (Saxofon) und Hugo Strasser (Klarinette) Jahr um Jahr unter dem Motto "Swing-Legenden" durch die Lande, begeisterte Fans um sich scharend. In ihrer Zuneigung steckte tiefe Dankbarkeit, dass sie das alles noch erleben konnten.

Kuhns Leben las man in seinem Gesicht. Faul war er nie. Der 1928 in Wiesbaden geborene Musiker gewann mit acht Jahren einen Akkordeon-Wettbewerb, spielte in städtischen Weinlokalen, besuchte das örtliche Konservatorium, erweiterte seinen Tastenhorizont auf das Klavier, schrieb Arrangements und übte sich alsbald auf dem Terrain der jungen, kessen und politisch sehr missliebigen Jazzerei. Nach dem Krieg sang er im Fernsehen flotte Schlager wie "Es gibt kein Bier auf Hawaii" (mancher wähnte in ihm die deutsche Antwort auf Frank Sinatra), übernahm die SFB-Bigband, reiste durch die Welt und wurde wegen Steuerhinterziehung angeklagt. Alles in allem also eine sehr deutsche Karriere. Trotzdem hat das Leben Paul Kuhn nicht zerknautscht. Er sah nur so aus.

Fraglos war Paul Kuhn ein Phänomen. Wenn man so will, hat er über all die Jahre den Jazz mit aufrechter Swing-Verortung hierzulande hoffähig gehalten, indem er ihn nie so avantgardistisch gestaltete, dass er die breite Gefolgschaft verloren hätte, und nie so flach, dass er die doch sehr überschaubare Jazzfachgemeinde verschreckt hätte. Nein, Kuhn fand den klugen Weg, ebenso originell wie konservativ zu sein. Er lehrte das Publikum die Grammatik, auf dass es für die Zuhörer, einmal entflammt, nur ein paar Streichholzlängen weit war zu Bill Evans, George Shearing oder Oscar Peterson.

Somit war Paul Kuhn die perfekte Jazzvolkshochschule auf zwei Beinen — und zugleich ein wirklich exzellenter, hochqualifizierter Klavierspieler, virtuos, geschmackvoll, absolut stilsicher und nicht zickig. Man musste ihn mal Charlie Parkers "Ornithology" spielen hören, dann wusste man über seine Kompetenz auch beim Bebop Bescheid.

Mit Paul Kuhn konnte man einen entspannenden, bildenden Abend und durchplauderte Stunden verbringen. Wenn er mit seinem Trio unterwegs war, merkte man überdies, dass der formidable Pianist ein sehr bescheidener Künstler war — er liebte das Teamwork, trat bei Soli der Kollegen aufrichtig zurück und nutzte die Bühne nie zur One-Man-Show. Seine Liebe galt der Band, Count Basie nannte er "die Basis". Deshalb errang Kuhn über die Jahre den Ruf des animierenden Begleiters, der unbestechlich den Takt hielt.

Paulchen, mach es gut da oben!

(RP)
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