Paulo Coelho besingt das Lob der Untreue

Wieder einmal wird beim brasilianischen Weltbestseller-Autor ein Roman zum Ratgeber.

Eigentlich könnte Linda glücklich und zufrieden sein. Sie hat einen netten Ehemann und zwei niedliche Kinder. In ihrem Beruf als Journalistin steigt sie die Karriere-Leiter immer höher. Ihre materielle Existenz ist gesichert. Doch in ihrem Inneren herrscht das reinste Chaos, ihre Gefühle spielen verrückt, ihre Gedanken drehen sich permanent im Kreis: Wie kann ich aus der alltäglichen Routine ausbrechen und wieder echte Leidenschaft empfinden? Muss ich, um mich und die Liebe neu zu erfahren, einen ungesicherten Weg einschlagen? Und sollte ich es vielleicht, um meinen alten Träumen treu zu bleiben, einmal mit "Untreue" versuchen und mich in eine Affäre stürzen?

"Untreue" heißt der neue Roman des in Genf lebenden brasilianischen Autors Paulo Coelho. Dass der Roman, wie die meisten seiner Vorgänger, ein internationaler Mega-Bestseller wird, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Denn Coelho, dessen Bücher in 80 Sprachen übersetzt wurden und eine Weltauflage von über 165 Millionen Exemplaren aufweisen, hat eine sichere Erfolgsrezeptur gefunden: Er bricht die großen philosophischen und religiösen Fragen (Woher kommen und wohin gehen wir und wie kann ich ein glücklicher Mensch werden?) auf den kleinsten Nenner herunter, gibt süffige esoterische Weisheiten und macht aus seinen literarisch schmallippigen Romanen Ratgeber für unzufriedene Zeitgenossen, die sich gern selbst kasteien. Und die sich zusammen mit dem Autor "Auf dem Jakobsweg" die Füße blutig laufen.

Genau besehen schreibt Coelho an immer dem gleichen Roman, denn ein ums andere Mal geht es darum, wie man seinen Träumen treu bleiben ("Aleph"), wie Liebe die Welt verändern ("Schutzengel") und wie man Erlösung finden kann durch völlige Hingabe ("Der Sieger bleibt allein"). Lebe deine Träume, gebe dich der Leidenschaft hin, dann wirst du die Liebe und das Leben neu erfahren und dich und deine Ehe glücklich machen. Bis Linda das kapiert, dauert es ein Weilchen. Denn ihre "Untreue" macht ihr anfangs schwer zu schaffen. Wenn sie sich mit dem (verheirateten) Politiker Jacob König auf wilde Sex-Orgien einlässt und mit dem bekennenden Macho alle ihre verdrängten pornografischen Fantasien auslebt, hat Linda anfangs noch ein schlechtes Gewissen. Doch das gibt sich. Und weil sie spürt, dass sie durch ihre fröhlichen Sex-Spiele eine neue Ausstrahlung bekommt, wird sie auch für ihren verständnisvollen, aber etwas schlappen Ehemann wieder attraktiv, wird die Ehe munterer und das Leben wieder schön. Geht es noch banaler?

Auf jeden Fall geht es noch ein bisschen freizügiger. Wohl noch nie hat Coelho so ausgiebig die sexuellen Abenteuer seiner Protagonisten beschrieben. Wer nach Anregungen für vermeintlich erregende Bettgymnastik im erotischen Stellungskrieg sucht, wird in diesem Buch garantiert fündig. Und ein paar Hinweise für ein glücklicheres Leben gibt es gratis dazu.

"Das sollte unser Ziel sein im Leben: lernen zu lieben", weiß Linda zum Schluss. Die "wichtigste Lektion ist: lieben zu lernen. Immer besser zu lieben." Denn möge Linda auch sterben und die Welt sich permanent ändern, "etwas wird in der Weltenseele für immer eine Spur hinterlassen: meine Liebe." Diese geballte Ladung esoterischen Schmarrens ist dann doch schwer auszuhalten.

(RP)
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