Peter Härtling erzählt von Verdi

Der Künstlerroman breitet alle Gefühlslagen zwischen Liebe und Krise aus.

Peter Härtling hat über Schubert und Schumann, über Hölderlin und zuletzt über Fanny Mendelssohn hochgerühmte Künstlerromane geschrieben. Dass er ein Liebhaber und auch profunder Kenner der italienischen Oper ist, weiß man seit langem. Insofern überrascht es nicht, dass Härtling sich in seinem neuesten Werk mit Giuseppe Verdi beschäftigt - und dabei eine erzählerische Leichtigkeit an den Tag legt, die das Lesen zu einem hohen Vergnügen macht. Im Unterschied zu Franz Werfels berühmtem Buch "Verdi. Roman der Oper" (1926) beobachtet der Leser Verdi und seine Welt nicht mit den Augen des Komponisten, sondern aus der Perspektive des Erzählers. Und natürlich haben wir es bei diesem Verfahren mit der Fantasie des Autors zu tun, dessen musikalische Empfindsamkeit Schritt hält mit dem künstlerischen Ausdruck des Erzählten. Härtling beginnt diesen "Roman in neun Fantasien" mit einer Szene, die den schlaftrunkenen Verdi nach seiner Frau Peppina rufen läßt, weil er sich im dunklen Zimmer nicht mehr zurechtfindet. Und auch am Ende, wenn Verdi sterbend in seinem Schlafzimmer liegt, wird die Szenerie von einer Stimmung trauriger Ratlosigkeit dominiert. All dies aber wird aufgehoben in der Begräbnisszene, wenn Toscanini den Trauerzug mit einer Armbewegung weckt und tausende den Gesang der befreiten Hebräer aus "Nabucco" anstimmen: "Va, pensiero" - ...Flieg, Gedanke, flieg!" Ob sich das so zugetragen hat, wissen wir nicht. Aber so wie Härtling diese Szene erfindet und formt, könnte es auch so gewesen sein. Es ist der alternde Verdi, den der Autor ins Zentrum stellt. Sein größter Erfolg - "Aida" - hat ihn an eine Grenze geführt, an der er nur noch umkehren oder etwas völlig Neues schaffen muss. Und es gelingt. Das Streichquartett in e-Moll und das Requiem sind etwas völlig Neues in seinem kompositorischen Werk. Härtling zeigt uns Verdi als einen Künstler, der trotz seiner wachsenden Zweifel immer noch Großes leistet. Neben der Arbeit am "Lear" folgen der "Otello" und der "Falstaff".

Vor allem aber begegnet uns Verdi als ein Mann, der trotz seines künstlerischen Selbstbewusstseins und seiner enormen Erfolge die Menschen, die ihn umgeben, nicht aus dem Blick verliert und die familiäre Vertrautheit hochschätzt. Als seine zweite Frau Peppina vor ihm stirbt, sterben auch seine künstlerischen Ambitionen.

Härtling führt uns in das Innerste eines weltberühmten Komponisten. Alle Gefühlslagen zwischen Verzweiflung, Lebensfreude und Lebensunwillen, zwischen Liebe und Krise haben hier ihren Platz.

(RP)
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