Philosoph Richard David Precht "Am bedingungslosen Grundeinkommen kommen wir nicht vorbei"

Düsseldorf · Der Philosoph Richard David Precht glaubt, dass Arbeiten in Zukunft ein Privileg der Bessergebildeten sein wird und am bedingungslosen Grundeinkommen kein Weg vorbeiführt. Rückblick auf einen denkwürdigen Abend im Düsseldorfer Schauspielhaus.

 Der Philosoph Richard David Precht bei seinem Vortrag im Düsseldorfer Schauspielhaus.

Der Philosoph Richard David Precht bei seinem Vortrag im Düsseldorfer Schauspielhaus.

Foto: Andreas Bretz

Eine gespannte Andacht wie im Angesicht einer großen Tragödie. Frenetischer Schlussapplaus wie nach dem Erlebnis einer Uraufführung. Und garniert mit Bravo-Rufen, als sei gerade ein neuer Schauspielstern geboren worden. Für ein Schauspielhaus ist das zwar nicht komplett ungewöhnlich; doch wenn es sich bei all dem um die Begleitmusik zu einem philosophisch grundierten Vortrag vor mehr als 800 Zuhörern über die Zukunft der Arbeit handelt, dann muss das im tiefsten Wortsinn bedenkenswert genannt werden.

Precht ist gekommen und hat am Sonntag im Schauspielhaus am Düsseldorfer Gründgens-Platz - und somit nah am Abgrund der aktuellen riesigen Baugrube - unsere Arbeits- und Leistungswelt zu denken, zu erzählen und zu erklären versucht. Ach ja, der Precht! Ach ja, der Bestseller-Philosoph! Herrje, der Denker, der mit jedem seiner Auftritte zu widerlegen trachtet, dass Philosophen des 21. Jahrhunderts dick, alt und schlecht gekleidet sein müssen. Genau dieser Precht hat in einem gut einstündigen, souverän frei gehaltenen, herrlich inspirierenden und immer wieder auch unterhaltsamen Vortrag Düsseldorf ein Erlebnis beschert und Intendant Wilfried Schulz ein großes Stück näher gebracht an dessen Traum von einem Theater, an dem auch über Gott und die Welt nachgedacht wird.

Mitten in der Revolution

Was Richard David Precht vor allem gelungen ist: uns sehr klar vor Augen zu führen, dass wir - hier und jetzt - mitten in einer Revolution stecken, auch wenn niemand mehr an Laternenpfählen aufgeknüpft wird. Die digitale Revolution ist leiser, heimlicher und unheimlicher, dafür aber auch umwälzender als alle früheren ökonomischen Entwicklungssprünge. Schon deshalb, weil technischer Fortschritt der einzige ist, der irreversibel bleibt, sagt Precht: Ist eine Errungenschaft einmal in der Welt, wird es nur noch von da aus weitergehen. Kurzum, wir sind nach Meinung des Philosophen gerade dabei, die komplette Gesellschaft umzubauen und diese in der bisherigen Form selbst abzuschaffen. Doch "wer ist eigentlich das Wir"?

Frühere industrielle Revolutionen seien, zumindest vom Endpunkt aus gedacht, für viele Menschen immer ein Segen geworden. Längeres Leben, bessere Versorgung, angenehmeres Arbeiten. Eine solche Zukunftsgewissheit und Erfolgsgarantie gibt es nach Ansicht des 52-Jährigen diesmal nicht. Natürlich entstehen viele neue Jobs, auch wenn wir von der Art der Beschäftigung derzeit bestenfalls eine grobe Ahnung haben können. Und streben wir auch nach Ankündigung der Kanzlerin nicht gerade die Vollbeschäftigung an? In Wahrheit stünden wir vor einem Tsunami: Es werde einen riesigen Anstieg der Arbeitslosigkeit geben, so Precht. Wie das? Natürlich werden millionenfach sogenannte doofe Jobs überflüssig werden, vor allem jene aus dem Dienstleistungssektor.

Befreiung von entfremdeter Arbeit

Der Mensch würde damit größtenteils von der entfremdenden Arbeit befreit, wie es Karl Marx schon im 19. Jahrhundert gefordert hat. Doch der kommunistischen Utopie kommen wir damit kaum näher, da neue Berufe den Verlust an Arbeit gar nicht auffangen werden - vor allem nicht für die gleichen Menschen. Vielmehr werde eine Art neue Aristokratie etabliert: mit den Oberen, die noch Arbeit haben, und jenen, die ohne Arbeit sein und auch bleiben werden. Für die gebe es dann nur eins: das bedingungslose Grundeinkommen, das deutlich über dem Hartz-IV-Satz liegen müsse. Vor dem Hintergrund unserer noch existierenden Arbeits- und Leistungsgesellschaft klingt das ziemlich ungerecht. Doch die digitale Gesellschaft verfolgt ganz andere Werte. Sie wird Arbeitslose schon deshalb ausreichend und ausdauernd finanzieren, weil die Daten von Armen nichts wert seien. Bezahlbar werde das alles durch die enorme Steigerung der Produktivität. Am bedingungslosen Grundeinkommen kämen wir nicht vorbei, auch wenn es nicht die Lösung aller Probleme sein werde.

Nicht allwissend

Ob man nun dem in Solingen geborenen und seit Kurzem in Düsseldorf lebenden Denker die Kompetenz für alle Fragen unserer jetzigen und zukünftigen Welt zugesteht, ist fast nebensächlich. Weil Precht (er führt mit dem zweiten dicken Band seiner Philosophiegeschichte gerade die Bestsellerlisten an!) uns Blicke auf eine Zukunft öffnet, die nicht besserwisserisch, geschweige denn allwissend daherkommt und darum sehr denkbar erscheint.

Dazu gehört eben auch, dass er die Strukturen neuen Denkens offenlegt. Ging es einst nur um Verbesserungen des Bestehenden, hält man jetzt Ausschau nach neuen Pfaden. Sorgte man sich früher - und zu oft noch heute - darum, es dem Autofahrer bequemer zu machen, denkt man jetzt immer häufiger an die Möglichkeiten des sogenannten autonomen Fahrens. Das werde in zehn, maximal 15 Jahren unsere Innenstädte umkrempeln; weniger Verkehr, mehr Ruhe - eine Rückgewinnung des Dörflichen. Schöne neue Welt? Iwo. Am Ausgang bekamen es alle Zuhörer an Düsseldorfs größter Baugrube gleich vor dem Theater eindringlich vor Augen geführt: Prechts Vortrag war ein Denken am Rande des Abgrunds.

(los)
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