Psychodrama des Glaubens

Großartiges Musiktheater bietet die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf mit ihrer jüngsten Produktion: Francis Poulencs "Die Gespräche der Karmelitinnen" beschreibt das gottesfürchtige Martyrium von Ordensfrauen zur Zeit der Französischen Revolution.

Päpste, Bischöfe, Priester, Diakone, Äbte, Mönche, Nonnen, Küster – sie alle finden in der Opernliteratur allenfalls als Zuträger und Stichwortgeber eine Heimat. Sie üben Macht aus, spenden letzte Ölungen, schließen Kirchen auf, erleben manche süß-saure Versuchung – doch dass ihre Nähe zu Gott zum flammenden Mittelpunkt wird, das gibt es wohl nur in Francis Poulencs Oper "Die Gespräche der Karmelitinnen" von 1957. Dies ist ein Stück, das auf Sex and Crime völlig verzichtet. Vielmehr debattiert es abendfüllend die – für uns Durchschnittschristen gewiss ungewohnte – Frage, ob man für den Glauben zu sterben bereit ist.

Diese Gespräche im Karmelitinnenkloster sind kein weltfern-theoretisches Geplauder zur friedlichen Abendstunde. Hier geht es würgend ums Leben, denn draußen tobt der marodierende Antiklerikalismus der Französischen Revolution, und im Inneren der Nonnen tobt die Angst – am ärgsten in Blanche, die seit je unter Furchtsamkeit bis in die Haarspitzen leidet und sich vom kollektiven behüteten Glauben im Karmel Linderung ihrer Phobien versprach. Als die aufrechten, ihr Gelübde auch unter Todesandrohung nicht widerrufenden Karmelitinnen zum Tod am Schafott bereit sind, erkennt Blanche, dass sie zum Leben mit der Angst geboren war und sie nur durch die Annahme des Leidens überwindet. Sie geht mit ihren Schwestern ins Martyrium.

Ist das starker Tobak, der bloß einer historischen Begebenheit aus dem Compiègne nachgestellt ist, durch den spät getauften Katholizismus Poulencs andächtig intensiviert wird? Nein, die Oper gewinnt eine ungemein subtile Spannung, der man sich bei einigermaßen offenem Sinn nicht entziehen kann. Dazu muss man nicht fromm sein.

In der Premiere der Düsseldorfer Rheinoper ist die Bühne ein verschwiegener, hermetischer Umraum gegen die Bedrohung durch frivolen Unglauben. Das Schwarzweiß der Nonnentracht macht Johannes Leiacker klug zu den Grundfarben der Bühne; am Ende wird der Boden der Todeszelle ein kleines, weiß gekälktes Geviert sein, das die frommen Frauen wie in einen Pferch zwingt. Zuvor hatte sich die Welt aus Adel und Kirche von ihren Insignien verabschieden müssen – die Bücherwand wurde vom Pöbel ebenso geschändet und zu Boden getrümmert wie das gewaltige Kruzifix, das wie ein allgegenwärtiges Anbetungszeichen, wie ein Fluchtpunkt in Krisenmomenten, von der Decke des Klosters gehangen hatte.

Regisseur Guy Joosten begleitet Leiackers Konzentration auf räumlich stille Verwandlungen von Symbolen ingeniös. Er verbittet sich jedwedes Heckmeck, jeden Nonnenalarm, er wählt strenge Stilisierung und weiß, was sich in einem Karmelitinnenkloster gehört – und er weiß auch, dass Poulencs "Dialogues" ihre Wucht von innen, aus der unerbittlichen Langsamkeit des Prozesshaften entfalten. Merklich hat Joosten der Musik gelauscht, die in ihrer fremdhaft milden Harmonik oft mittelalterlich, ja wächsern innezuhalten scheint; anderswo befindet sie sich auf der Kreuzung, an der Strawinsksys steile, strenge Bläserakkorde, Debussys serene Strahlkraft und Puccinis Sinnlichkeit aufeinander treffen. Das Finalbild mit dem naturalistischen Rauschen der Guillotine ist verstörend schön: Die Karmelitinnen haben ihre Haartracht an die Scheren des Mobs verloren, die in dicken Büscheln auf dem Boden liegt, nun schreiten sie singend, eine nach der anderen, dem Henker entgegen. Als letzte kommt Blanche, deren entsetzliche Angst nun wortwörtlich voll der Gnade ist, und folgt – obgleich nicht selbst verurteilt – allen in den Tod.

Ein Stationendrama des Musiktheaters also, in dem nebenbei ein Generationenvertrag ausgehandelt wird. Hier sind die Parteien exemplarisch vertreten: Blanche durch die junge, vibrierend und visionär leuchtende Anett Fritsch, die alte Priorin durch die selige Anja Silja, deren Stimme wegen einer argen Erkältung leider selbst wie eine anbetungswürdige Klosterruine klingt. Ein hinreißendes Rollenporträt zwischen Pflicht und Verzweiflung bietet Jeanne Piland als Mère Marie, wogegen Sabine Hogrefe als jüngere Priorin etwas abfällt. Helle Charakterstudien zeichnen Alma Sadè (Schwester Constanze), John Wegner (Marquis de la Force) und Corby Welch (Blanches Bruder); der Frauenchor der Rheinoper fügt sich erhebend ein.

Abermals ist Axel Kober zu preisen. Er ist ein GMD, dem man den GMD nicht anhört. Er tritt in die ihm bestens bekannte Kathedrale der Musik als Erster ein und sorgt dafür, dass sich alle jederzeit zurechtfinden, Novizen weist er auf Wissenswertes hin – doch will er die Kirche nicht selbst neu erbauen. So muss es sein. Das Orchester dankt es ihm mit sehr fein timbriertem, leidenschaftlichem Spiel, aus dem nur ein schwaches Englischhorn-Solo ungünstig heraussticht.

Sehr günstig hingegen der Jubel.

(Rheinische Post)
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